Ich soll nicht töten
Howie seine endlos langen Arme über die Schultern von Jazz und Connie legte. Sie lächeln in die Kamera, und es schockierte Jazz jedes Mal, sich selbst glücklich zu sehen.
Das einzige andere Bild in der Brieftasche war von seiner Mutter.
Ja, Mr. Fulton, ich habe jemanden verloren. Ja, es hat mir etwas bedeutet.
Dieses hier war das Original– das Bild an seiner Schlafzimmerwand in der Position des dreiundachtzigsten Opfers war eine vergrößerte Kopie. Nachdem Mom gegangen/verschwunden/ermordet worden war, hatte Billy das Haus durchstöbert, jeden Hinweis auf sie eingesammelt und alles in einem mächtigen Feuer verbrannt. Dieses Bild, das Jazz als Kind unter dem Kopfkissen versteckt hatte, hatte überlebt. Es war alles, was er besaß.
Soziopathen interessieren sich für niemanden außer sich selbst, heißt es in der Literatur. Wenn ihm also seine Mutter etwas bedeutete– oder zumindest die Erinnerung an sie–, wenn ihm Connie und Howie etwas bedeuteten, hieß das dann nicht…?
Doch nein. So einfach war es nicht. Soziopathen konnten Haustiere haben und sie sehr gut behandeln. Sie konnten sogar verheiratet sein und das Faksimile einer emotionalen Beziehung aufrechterhalten.– Serienmörder neigten außerdem dazu, nichts wegwerfen zu können, woran Jazz angesichts des alten Schrotts, der sich rund um sein Versteck türmte, nicht gern dachte.
Die Frage für Jazz war: Machte er sich wirklich etwas aus Connie und Howie, oder glaubte er es nur? Es war die älteste philosophische Frage der Welt– woher weiß ich, dass das, was ich als Blau sehe, und das, was du als Blau siehst, dasselbe ist?
Die Antwort: Wir wissen es nicht. Wir vertrauen einfach darauf.
Würde sich ein echter Soziopath über solche Dinge den Kopf zerbrechen? Und sich dann den Kopf darüber zerbrechen, dass er sich den Kopf zerbrach? Er hatte keine Antwort darauf, allerdings wusste er, dass sich Soziopathen über alles Mögliche den Kopf zerbrachen. Billy hatte seinen Rasen zwanghaft sauber und kurz geschnitten gehalten, weil er überzeugt war, dass die ganze Stadt über ihn tratschen würde, wenn das Gras auch nur ein bisschen ungepflegt aussähe. Warum ein Mann, der einhundertvierundzwanzig unschuldige Menschen getötet hatte, sich wegen Kleinstadttratsch sorgte, wusste Jazz nicht. Aber das hielt Billy nicht ab.
Jazz saß über eine Stunde in dem Sitzsack und starrte auf das Foto, ohne dass ihm bewusst war, wie die Zeit verging. Ein Geräusch vor der Hütte ließ ihn aufspringen, und im nächsten Moment streckte Connie den Kopf zur Tür herein.
» Ich dachte mir, dass du hier bist«, sagte sie.
» Immer noch wütend?«, fragte er, als sie hereinkam.
» Nein.« Sie umarmte ihn. » Ist vergeben.«
» Aber nicht vergessen.«
» Ich vergesse nie etwas. Ich weiß auch nicht, warum.«
Er nickte. Er hatte es verdient. » Ich wollte nur der Polizei helfen. Ich glaube immer noch, dass er ein Serienmörder ist. G. William irrt sich. Und es werden weitere Leute sterben.«
» Es ist nicht deine Aufgabe, dich darum zu kümmern, sondern seine. Lass ihn es machen. Was ist da?« Sie löste sich von ihm, weil ihr Jazz’ Brieftasche, die er noch in der Hand hielt, in die Rippen drückte.
» Nichts. Ich habe nur…«
Sie nahm ihm die Brieftasche ab, und sie klappte beim Bild seiner Mutter auf. Connie fixierte ihn mit einem vernichtenden Blick.
Er erzählte ihr von seiner zweiten Begegnung mit Fulton. » Und das hat mich eben dazu gebracht, über alle möglichen Dinge nachzudenken«, schloss er kraftlos.
» Was für Dinge?« Inzwischen waren beide in den Sitzsack gesunken, Connie rollte sich in seinem Schoß ein, ihr Kopf lag auf seiner Brust. Ihr Haar kitzelte ihn in der Nase. Er merkte, wie er auf ihr Gewicht in seinem Schoß auf die einzige Art reagierte, auf die ein männlicher Teenager reagieren sollte.
» Du weißt schon. Die üblichen Dinge.«
Und dann erzählte er ihr aus einem Grund, den er nicht benennen konnte, etwas, das er ihr noch nie erzählt hatte. Er erzählte ihr von dem Traum. Dem Albtraum. Von dem Messer. Den Stimmen.
Die meisten Mädchen hätten es mit der Angst bekommen, das war ihm klar. Sie hätten gemacht, dass sie wegkommen, aus der Hütte, aus seinem Leben. Connie drückte ihm nur die Hand und sah ihn ruhig an.
» Es muss nichts zu bedeuten haben. Es ist ein Traum.«
» Ich träume ihn ständig.«
» So, wie du aufgewachsen bist, wundert es mich, dass er nicht brutaler ist.«
Er zögerte, dann sagte er ihr, was ihm
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