Ich soll nicht töten
seinem Schoß; er war bereits so taub, dass die Erektion verschwunden war. » Du verstehst es nicht«, sagte er und ging zu dem einzigen Fenster des Verstecks. Es gab kein Glas, nur ein Stück zerkratztes, milchiges Plastikteil, das Jazz an den Rahmen getackert hatte. Er kniff die Augen zusammen und spähte zu den Bäumen hinaus, die diese kleine Oase vom Rest der Welt abschirmten.
» Billy wird mir nicht helfen, einen Abschluss zu finden. Das ist nicht sein Ding. Er hat nur angefangen, Informationen herauszugeben, weil ihn seine Anwälte überzeugt haben, dass er anders der Todesstrafe nicht entgehen kann, und es gibt nichts Wichtigeres auf dieser Welt für Billy Dent als… Billy Dent eben. Er lässt sich keine Todesspritze für irgendwen geben. Aber er wird sich nicht bei mir entschuldigen für das, was er getan hat, oder so. So tickt er nicht.«
» Er muss sich nicht entschuldigen.« Sie trat hinter ihn und schlang die Arme um ihn. » Allein, wenn du ihm mitteilst, welche Wirkung er auf dich gehabt…«
» Niemals.« Jazz schauderte bei dem Gedanken. » Das Letzte, was man tun darf, ist ihm gegenüber Schwäche zeigen. Nie. Ich kann ihn nicht besuchen. Allein dadurch, dass ich es tue, wäre er im Vorteil. Wenn du einem Serienmörder gegenüber Schwäche zeigst, lebt er anschließend in dir.«
» Er lebt bereits jetzt in dir«, flüsterte Connie in einem Tonfall des Bedauerns. » Weil du nicht loslassen kannst.«
» Loslassen?« Jazz fuhr abrupt zu ihr herum. Sie wich zurück. » Loslassen? Er hat meine Mutter getötet!«
» Das weißt du nicht mit Sicherheit.«
» O doch, ich weiß es. An einem Tag war sie noch da, am nächsten, schwupp, verschwunden. Und ihre ganzen Sachen: Verschwunden. Bilder: Verschwunden. Als hätte sie nie existiert. Er hat sie ausgelöscht, Con. Als wäre sie ein Fehler in einem Notizbuch gewesen. Mehr war sie nicht für ihn.«
» Sie hätten etwas finden…«
» Gar nichts hätten sie finden müssen«, fauchte er. » Verlass dich drauf. Es gibt Möglichkeiten, eine Leiche für immer verschwinden zu lassen, und Billy kennt sie. Es dauert meist eine Weile, aber wenn man die Zeit hat, kann man es tun. Bei Mom hätte er die Zeit gehabt. Sie hatte keine Familie– niemanden, der sie vermisste, außer Billy. Billy!«, sagte er ein letztes Mal, dann drehte er sich wieder zum Fenster um und schlug mit voller Kraft dagegen, ehe ihm bewusst wurde, was er tat.
Das Plastik– und seine Tackerklammern– hielten. Von seinen Knöcheln zog ein schmerzhaftes Pochen seinen Arm hinauf.
» Du bist wütend«, sagte Connie ruhig. » Auf sie.«
Auf sie? Auf seine Mutter? Die eine gute Sache in seinem Leben?
» Nein, das stimmt nicht.«
» Doch«, sagte sie selbstbewusst. » Du bist wütend auf deine Mutter, weil sie dich verlassen hat.«
» Sie wurde ermordet.«
» Damit hat sie dich trotzdem verlassen.«
Er lachte, es klang bitter in seinen Ohren. » Manchmal glaube ich, sie ist davongekommen. Na ja, ich glaube es nicht wirklich, aber ich stelle es mir gern vor. Ich stelle mir vor, dass sie eines Tages erkannt hat, was Billy war, und geflohen ist.«
» Siehst du?«, sagte Connie triumphierend. » Du bist doch wütend. Du glaubst, sie ist ohne dich geflohen.«
» Ach was, das macht mich nicht wütend. Es macht mich stolz.«
» Stolz, weil sie einen kleinen Jungen im Stich gelassen hat? Hast du sie noch alle?«
Er zuckte mit den Achseln. » Wenn sie davongekommen ist, dann gut für sie. Sie wäre die Einzige, die es geschafft hat. Die meisten verheirateten Serienmörder wenden sich nie gegen ihre Ehefrauen, aber das wusste sie wohl nicht. Also ist sie geflohen. Und ich bin ernsthaft nicht wütend, weil sie mich nicht mitgenommen hat. Sie hat ihre Chance gesehen. Sie ist losgerannt. Wahrscheinlich hatte sie solche Angst… Aber so stelle ich es mir nur manchmal vor. Tief in meinem Innern kenne ich die Wahrheit. Sie ist tot. Sie ist schon lange tot.« Er barg den Kopf in den Händen. » Und es ist nichts von ihr geblieben.«
» Außer dir«, sagte Connie. » Das ist der Grund, warum ich vergebe, aber nicht vergesse. Wenn man jemanden vergisst, bedeutet die Vergebung nichts mehr. Sagen wir also, sie ist gegangen. Schön. Du vergibst es ihr. Aber du wirst sie nie, nie vergessen.«
Er wusste, dass es die Wahrheit war. Auch wenn es Tage gab, an denen er sich wünschte, er könnte sie vergessen.
13
Helen blinzelte in schneller Folge und kam zu sich, als ein Mann zu ihr sprach. Sie war mit
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