Ich soll nicht töten
fand, nachdem sie zweiundachtzig Jahre auf dem Planeten Erde überlebt hatte, vierzig davon mit Billy Dent als Sohn, hatte sie sich ein wenig Fett und Cholesterin verdient.
» Schau mal!«, rief Gramma mit vollem Mund. » Dein Daddy ist im Fernsehen!«
Jazz wollte nicht schauen, aber er wusste, sie würde ihm keine Ruhe lassen, bis er es tat. Sie musste den Sender gewechselt haben. Ein Nachrichtenkanal brachte eine von einer Million » Dokumentationen« über Billy Dent, mit demselben Bildmaterial, das sie alle benutzten: Billy Dent in Handschellen und einem adretten grauen Anzug, wie er von einer Phalanx aus Anwälten umringt die Treppe zum Gerichtsgebäude hinaufsteigt.
Eine unheilvoll raunende Sprecherstimme verkündete: » Dr. Perry Shinkeski glaubt, dass Dent ein neuer Typus von Serienmörder ist, das, was er einen › Super-Serienkiller‹ nennt.«
Das Bild wechselte zu einem mausgesichtigen Mann im Tweedsakko, mit einer riesigen Brille und einem selbstgefälligen Grinsen, der an einem Schreibtisch saß und sprach.
» Die meisten, äh, Serienmörder«, sagte Shinkeski, » haben eine, äh, individuelle Identität und Signatur, auf die sie sich, äh, stützen. Dent, äh, wandelte sich über einen Zeitraum von, äh, Jahren von einer zur, äh, anderen und noch mal anderen, und alle waren in hohem Maß, äh, organisiert und fähig.«
Schnitt auf eine wasserstoffblonde Reporterin, die viel zu viel Ausschnitt zeigte. » Und ist das typisch, Doktor?«
Zurück zu Shinkeski: » Das ist eine, äh, neue Sorte von Psychopathologie, die wir erst allmählich, äh, zu verstehen beginnen. Diese neuen, äh, Super-Serienkiller bevorzugen keinen bestimmten, äh, › Typ‹«– er malte tatsächlich Anführungszeichen in die Luft–, » sondern betrachten, äh, alle Leute als ihren › Typ‹.«
» Hast du das gehört?« Gramma japste beinahe. » Dein Daddy ist ein Superheld!«
Jazz hätte am liebsten den Kopf gegen die Wand geschlagen. Noch besser in den Fernseher gerammt. Stattdessen ließ er seine Großmutter bei Hähnchen und TV zurück und verschwand in dem Raum, der einmal ein Arbeitszimmer gewesen war, als sein Großvater noch lebte. Jetzt war er dunkel und staubig, vollgepackt mit Kisten, die Grampas alte Kleidung und Bücher enthielten; Gramma weigerte sich hartnäckig, sich von dem Zeug zu trennen– das Hamster-Gen.
Es gab in dem Zimmer auch einen Telefonanschluss mit einem uralten Anrufbeantworter dran.– Gramma setzte sich beharrlich dagegen zur Wehr, eine Mailbox einzurichten; sie behauptete, dann könne die Telefongesellschaft ihre Nachrichten abhören und sie in neuer und beunruhigender Form übermitteln.– Das Licht blinkte. Ein paar Nachrichten von Doug Weathers– » Deine Erfahrungen, meine Worte– es ist Gold wert, Jasper! Wir werden beide berühmt. Das Beste, was in dieser Stadt passieren kann, und du weißt es.«– mischten sich mit Botschaften von Melissa, deren letzte mit den Worten endete: » Nun, dann komme ich jetzt rüber.« Es war durchaus möglich, dass sie heute Abend noch einmal anrief, deshalb legte er den Hörer neben die Gabel, ging nach oben und ließ sich aufs Bett fallen. Er wollte nur kurz ruhen, aber obwohl es noch nicht einmal neun Uhr war, schlief er fast sofort ein.
Nur um von einem unablässigen Hämmern an der Haustür und den Schreien seiner Großmutter geweckt zu werden. » Sie sind da! Sie sind da! Sie haben uns gefunden! Billy! Jon! Holt die Gewehre! Holt die Gewehre und pustet ihnen ihren verdammten Schädel weg, bevor sie mich mitnehmen!«
» Jon« war Grampa Dent, seit zwanzig Jahren tot, außer für Grammas Synapsen.
Jazz wälzte sich aus dem Bett. Seiner Nachttischuhr zufolge war es nach elf, und dieses Hämmern an der Tür hörte nicht auf. Wer würde so spät noch…
Weathers. Natürlich, es konnte niemand anderes sein.
Jetzt ist es klar, dachte Jazz finster, als er die Treppe hinunterstolperte. Ich habe mich entschieden, wer mein erstes Opfer sein wird.
Gramma versteckte sich neben der alten Standuhr, die treue Flinte im Anschlag und auf die Tür gerichtet. » Ich benutze Gottes- Munition«, schrie sie. » Ich versohle euch den Arsch mit dem Höllenfeuer Jesu.«
Das Höllenfeuer Jesu. Das war neu.
» Ich übernehme den Kerl«, versicherte ihr Jazz.
» Sei vorsichtig, Billy«, sagte Gramma mit wildem Blick. » Du musst eine Waffe mitnehmen. Und hol deinen Daddy.«
Na, großartig. Er liebte es, wenn sie ihn für Billy hielt. » Ich komm schon klar«,
Weitere Kostenlose Bücher