Ich soll nicht töten
sagte er. » Ich töte sie alle mit meinen Gedanken.«
Gramma lachte gackernd. » Habt ihr das gehört? Er tötet euch mit…«
Jazz riss die Haustür auf, bereit, einen Hagel von wüsten Beschimpfungen auf Doug Weathers niedergehen zu lassen. Stattdessen stand jedoch G. William vor ihm, die Faust erhoben, um noch einmal zu klopfen, die Schultern breit wie immer, die Haltung selbstbewusst wie eh und je.
Doch seine Augen…
Etwas hatte seine Augen trüb und kalt werden lassen.
Oh, dachte Jazz, und die Erkenntnis traf ihn im selben Moment, in dem G. William es sagte. » Du hattest recht. Es ist ein Serienmörder. Wir haben ein neues Opfer.«
15
Jazz schob G. William ins Haus. Gramma spähte um die Standuhr, sah, dass es der Sheriff war, und richtete ihre Flinte auf ihn.
G. William rang sich ein Lächeln ab und sagte: » Guten Abend, Ma’am. Ich wusste nicht, dass eine Dame anwesend ist. Verzeihung.« Dann zog er den Hut.
Gramma kicherte und huschte zu ihrem Schlafzimmer.
G. William runzelte die Stirn. » Es wird schlimmer mit ihr, Jazz.«
» Was? Ach wo. Sie ist zurzeit ziemlich stabil. Sie ist nur ein bisschen durcheinander, weil es so spät ist.«
G. William stöhnte.
Der Sheriff war nach Billys Verhaftung viele, viele Male hier gewesen, deshalb musste ihm Jazz nicht den Weg in die Küche zeigen. Jazz stöhnte, als er die verstreuten Reste von Grammas Mahlzeit sah. Er fegte alles in den fettigen Karton und warf ihn in die Spüle.
» Kaffee?«, fragte er, als sich G. William in einem Sessel niederließ.
» Nein danke. Ich hab schon so viel davon intus, dass eine Armada darauf schwimmen könnte.« Er seufzte. » Ich bin alles andere als glücklich über diese Entwicklung.«
Jazz fühlte sich großartig– er hatte recht gehabt. Der Mord an Fiona Goodling war keine Einzeltat gewesen. Irgendwer war da draußen auf der Pirsch, und Jazz hatte es früher als irgendwer gesehen– hatte es gewusst. Tanner erinnerte ihn in gewisser Weise an Reverend Parris in Hexenjagd: so erpicht darauf, der Stadt zu helfen, aber in keiner Weise bereit zu glauben, dass wahrhaft böse Dinge im Gange waren.
Am Anfang. Schließlich bekehrte er sich dann doch. Weil ihm nichts anderes übrig blieb.
Die Unfähigkeit, Zusammenhänge wahrzunehmen, war bei der Polizei weit verbreitet, aber in G. Williams Fall kam noch eine Portion Wunschdenken hinzu. Zu der Zeit, als Dear Old Dad seine eigene Kardinalregel verletzte und in Lobo’s Nod auf die Pirsch ging, war G. William Tanner ein gebrochener Mann. Seine Frau war nach siebenunddreißig Jahren Ehe gerade gestorben, nach jahrelangem Kampf mit einer Spielart von Eierstockkrebs, die so grausam und schleichend war, dass Billy selbst es bewundert hätte. Bei der nächsten Wahl war Tanners Niederlage gegen einen jungen Emporkömmling so gut wie sicher, der seine Kandidatur auf nur dürftig verschleierter Altersdiskriminierung aufbaute, mit Slogans wie: » Frischen Wind wählen!« Nachdem die Frau tot war und die Berufslaufbahn ebenfalls in den letzten Zügen lag, hatte G. William mehr oder weniger nichts Besseres zu tun, als sich auf Carla Swinton zu fixieren. Der blonde Cheerleader der Lobo’s Nod High war verschwunden, einige Strähnen von ihrem Haar und ein zerfetztes Stück von ihrem Pulli hatte man in einem Busch vor dem Postamt gefunden. Alle– selbst Carlas eigene Eltern– glaubten, dass sie nach New York durchgebrannt war– Carla träumte davon, Model zu werden–, aber G. William spürte, dass etwas anderes in der Luft lag.
Und als Samantha Reed– eine weitere hübsche junge Blondine– eine Woche später tot in einem Bachdurchlass gefunden wurde, wusste G. William, dass er auf der richtigen Spur war. Er brachte die Morde mit zwei von Billys anderen Verbrechen in Verbindung, die im Abstand von zehn Jahren begangen worden waren, und er tat es auf eine Weise, die Billy mit Sicherheit nicht für möglich gehalten hätte. G. William Tanner jedoch stellte den Zusammenhang her und erkannte, dass » der Künstler«, Green Jack und andere alle derselbe Mann waren und dass dieser Mann jetzt in Lobo’s Nod tätig war.
Witwer. So gut wie aus dem Amt gewählt. Zusammen mit den Belastungen aus seinem Privatleben brachte die Jagd auf Billy G. William beinahe um. Jazz verstand, warum der Sheriff unter keinen Umständen gezwungen sein wollte, einen zweiten Serienmörder zu jagen.
» Ich habe den ganzen Abend versucht, dich anzurufen«, sagte G. William. » Bin aber nicht durchgekommen.
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