Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
springen?« – Ich musste nicht lange überlegen: »Springen!« – »In Ordnung, dann weiß ich Bescheid.« Ein paar Tage später stand die Besetzungsprobe an. Auch ich sollte erscheinen, obwohl ich noch Elevin war. Nachdem die Hauptrollen verteilt waren, bestimmte van Dyk die Solisten für den dritten Akt. Im Stück sucht der Prinz auf dem Ball eine Frau und die Bewerberinnen aus den verschiedenen Ländern führen ihre Nationaltänze auf. Vier der geladenen Gäste tanzen jeweils ein Solo und dann zu viert einen großen Pas de quatre . Van Dyk nannte sieben Mädchen aus dem Ensemble, darunter drei Solistinnen, eine Halbsolistin und drei Gruppentänzerinnen. Und dann hörte ich meinen Namen. Mein Herz blieb fast stehen. Wie in Trance stellte ich mich zu den anderen. Er probierte verschiedene Kombinationen für die Vierergruppe durch, stellte uns immer wieder neu zusammen. Und plötzlich begriff ich, warum er mich gefragt hatte, ob ich lieber drehte oder sprang – er wollte mich für den Pas de quatre . Und tatsächlich, am Ende verkündete er die Premierenbesetzung: drei Solistinnen und ich. Die anderen vier waren Ersatz. Wenn Blicke töten könnten, wäre das mein Ende gewesen. Es war hart für die anderen, dass er eine Elevin nahm statt der Halbsolistin, die vom Rang her Anspruch auf die Rolle hatte. Das mussten sie erst einmal verkraften. Gedrückt von dem Neid, der mir entgegenschlug, und gleichzeitig überglücklich schlich ich zur Seite und setzte mich an die Wand unter die Stange. Ich wusste nicht, wohin ich gucken sollte, dachte nur eins: Ich muss nach Hause! Als wir fertig waren, hielt ich es nicht aus, auf die U-Bahn zu warten. In dem Moment war mir das Geld völlig egal. Ich setzte mich in ein Taxi, fuhr nach Hause und konnte endlich meiner Freude freien Lauf lassen. »Na bitte, hab ick doch jewusst«, sagte mein Vater trocken. Doch eigentlich konnte auch er nicht glauben, was mir da mit meinen sechzehn Jahren passierte.
Und das war nicht alles. Noch während der Proben wurde eine der Solistinnen krank. Sie sollte gleich im ersten Akt auf dem Geburtstagsfest von Siegfried zusammen mit einer zweiten Solistin und dem ersten Tänzer des Ensembles den Pas de trois tanzen. Ein ganz wichtiges Stück in diesem Ballett. Und nun fiel sie aus. Nach der Probe stand van Dyk in der Tür und sagte wie nebenbei: »Klopsch, kommen Sie mal her. Ich möchte gerne, dass Sie sich morgen mit Frau Vernici zusammentun für eine Extraprobe. Sie tanzen auch den Pas de trois .« Ich wäre beinahe tot umgefallen. Zwei so große Rollen in einer Aufführung, und das als Elevin! Es dauerte auch nicht lange, bis sich die Neuigkeit im Haus herumgesprochen hatte und fast alle Kollegen gegen mich aufbrachte. In der Trainingspause zogen sie auf der Toilette über mich her. Eine der fest engagierten Tänzerinnen stürmte herein: »Hast du schon gehört, wer jetzt den Pas de trois tanzt?« – »Psst.« Die Zweite wusste, dass ich in der Kabine saß, und flüsterte: »Komm mal mit raus.« Ich hörte sie nach draußen schleichen, doch ihre erregten Stimmen drangen durch die Tür. – Es tat mir so weh. Ich ging zurück in den Ballettsaal und kauerte mich wie so oft unter die Stange, doch sie ließen mich nicht in Ruhe. »Warum sitzt du denn da so traurig herum? Hast doch Grund zum Fröhlichsein. Los, freu dich!« Es war ein einziger Spießrutenlauf.
Der Konkurrenzkampf brach jetzt mit voller Macht hervor und überschattete mein Glück. Den Hass zu ignorieren war unmöglich. Ich wollte doch nur tanzen! Ich wollte niemandem etwas Böses. Natürlich hätte ich der Hierarchie nach diese Rolle erst in zwei, drei Jahren bekommen und natürlich war das eine Kränkung für die anderen. Doch in diesem Beruf kann man sich nicht durchmogeln. Man sieht genau, wie eine Tänzerin die Pirouette dreht, wie sie das Bein hebt, die Füße setzt. Es ist sofort klar, wer etwas draufhat. Beim Ballett kannst du nicht lügen! Da kommst du nicht mit Beziehungen weiter.
Am stärksten war der Neid unter den Mädchen, die meinten, ich nähme ihnen die Rollen weg. Doch auch ein paar Tänzer beschwerten sich bei van Dyk: Wie konnte er ihnen nur eine Elevin vorsetzen? Unter diesen Kollegen war auch der Solotänzer Heinz Clauss, mit dem ich in Schwanensee auftrat. Als wir bei einer Aufführung auf unseren Einsatz warteten, sagte ich etwas zu ihm und duzte ihn ganz selbstverständlich, wie es an der Staatsoper üblich war. Da zischte er zurück: »Heinz und Sie, bitte!«
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