Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
war. Wegen meiner dreihundert Dollar, die er am Ende »für andere Dinge brauchte«, hatte es noch einmal geknallt zwischen uns. Und dieser Streit kam mir nun in den Sinn. Ich spielte drauflos und fand sofort in die Stimmung, die ich brauchte, um den Text mit Leben zu füllen. Das ist das Erfüllende beim Theaterspielen: Wenn du deine eigenen Erfahrungen, deine Geschichte umsetzen kannst. Wenn du daraus für deine Rolle schöpfst und es aufgeht im gemeinsamen Spiel mit den anderen. Dann ist Theater perfekt.
Überhaupt kommt das Zusammenspiel im Sprechtheater viel stärker zum Tragen als im Ballett. Beim Tanz muss jeder Schritt stimmen und mit den Bewegungen der anderen harmonieren. Im Schauspiel musst du viel stärker reagieren, jedes Mal wieder offen sein, auch für kleinste Veränderungen. Denn im Laufe der Aufführungen wandelt eine Inszenierung sich. Manchmal probiert ein Schauspieler etwas Neues aus und dann müssen die anderen mitspielen, ob sie wollen oder nicht. Das ist mir dort viel lebendiger in Erinnerung als im klassischen Ballett. Diese Vitalität ist es, die mich am Theater so fasziniert. Wenn du gut sein willst, musst du dich öffnen, dich preisgeben und deine Schranken überwinden. Diese Offenheit prägt das gesamte Theaterleben und die Beziehungen der Menschen. Gefühle werden viel schneller geweckt. Oft lagen Arbeit und persönliches Empfinden für mich nah beieinander. Wenn ich das Spiel eines Kollegen schätzte und verehrte, fand ich auch den Menschen faszinierend und anziehend. Die intensiven Begegnungen meiner Theaterzeit sind wichtige Erfahrungen für mich und zeichnen diesen Abschnitt meines Lebens aus, auch wenn nicht alle Beziehungen harmonisch auseinandergingen.
Trotz dieser Intensität stellte sich irgendwann Routine ein. Ich empfand sie viel schneller als im Ballett, wo es nie Routine gab. Vielleicht liegt es daran, dass ich damals im Ballett noch so jung und die Hamburgische Staatsoper das Haus meines ersten Engagements war. Mein Vertrag in Basel wurde von Jahr zu Jahr verlängert. Ich freute mich darüber, ohne zu bangen, wie lange es noch gehen würde. Ich nahm es, wie es kam, und lebte weiterhin wie auf dem Sprung. Die Highlights, die es immer wieder gab, trugen und inspirierten mich: einzelne Stücke, die mir speziell lagen, herausstechende Regiearbeiten, die mich beflügelten, und besondere Begegnungen mit Menschen. Doch Ende der Achtzigerjahre konnte ich meine Unzufriedenheit nicht länger leugnen. Nach mehreren Jahren am selben Haus mit festem Ensemble und Regisseuren fühlte ich mich wie in einem Büro, wo ich täglich denselben Kollegen am Schreibtisch gegenübersitze. Genauso wie dort gab es auch im Theater eingespielte Beziehungen, in denen sich wenig bewegte. Das Leben schien ewig so weiterzugehen. Richtig bewusst wurde mir das im Jahr 1987. Hinzu kam meine Angst, als alternde Schauspielerin, für die es nur wenige gute Rollen gibt, bloß am Rande mitzulaufen. Und mitgeschleppt zu werden, unkündbar und unbrauchbar – so wollte ich auf keinen Fall enden. Die Abenteuerlust kam wieder durch. Ich wollte aufbrechen, wieder Neues entdecken. Zuerst versuchte ich, durch Stückverträge in Stuttgart mein Freiheitsgefühl wieder zu wecken. Selbst das reichte nicht aus. Was ich brauchte, war eine gründliche Veränderung.
Ich steig aus
Du hast Geld und du bist frei, sagte ich mir. Also tu etwas, wozu du nie wieder Gelegenheit haben wirst. Geh nach Frankreich. Seit meinen ersten Ballettstunden klang die französische Sprache in meinem Ohr. Es tat mir immer leid, dass ich sie nur ein paar Jahre lang gelernt, aber nie perfektioniert hatte. Seit den zwei Wochen, die ich vor dem Abflug nach Las Vegas in Paris verbracht hatte, träumte ich davon, einmal länger in der Stadt zu leben. Und wie so viele meiner Wünsche trug ich auch diesen tief in mir, bis er jetzt, zum richtigen Zeitpunkt, an die Oberfläche drängte. Ich nahm meine ganzen Ersparnisse und ging im Februar 1988 nach Paris – ohne Plan. Ich fragte eine Freundin nach einem Tipp für eine Unterkunft, und als sie eine halbe Stunde später zurückrief, hatte sie schon alles geregelt. »Bist du fertig mit dem Packen? Es kann losgehen.« Sie hatte ihren Exliebhaber angerufen, dessen Freund war bereit, mich in der ersten Zeit bei sich aufzunehmen. Meine Möbel – den alten Tisch, das Stühlchen und die kleine Couch – lieh ich Bigi für die Zeit, in der ich nicht da sein würde. Alles andere stopfte ich in zwei riesige Koffer
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