Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
ich. Er hätte uns alle ruiniert. Wir wären am Ende gewesen, obwohl wir mit dieser Sucht nichts gemein hatten. Kein Mensch in der Familie war spielsüchtig oder von irgendetwas abhängig. Vielleicht gab es eine Ähnlichkeit mit Kurt, der auf seine Weise auch gern va banque gespielt hatte. Im Grunde hatte mein Vater uns nie abgesichert. Und gleichzeitig meinte er, wir könnten problemlos sechs Wochen verreisen, es würde schon irgendwie gehen …
Nun war Schiepchen fort und meine Mutter hatte ihren Liebling verloren. Mein Bruder hatte ihr näher gestanden als ich. Er war ein Sensibelchen, immer an ihrer Seite, er brauchte sie einfach mehr. Mich hatte meine Mutter ganz anders gesehen: Ach Gott, unsere Püppi, die lebt so ihr Leben, die ist handfest und pragmatisch. Sie hat ihren eigenen Kopf. Ich war die Außenseiterin in unserer Familie, das irgendwie fremde Kind. Doch das merkte ich gar nicht, weil ich so beschäftigt war mit meinem Leben, mit dem Tanz und dem Theater. Auch das steckt dahinter, wenn ich heute sage, ich war ein Kind der Oper. Dort wurde ich erzogen.
Nach meiner Rückkehr kam uns das zugute. Wir hatten keine alten Kämpfe auszutragen, deshalb fiel es uns leicht, gemeinsam neu anzufangen. Und als wir genug über meinen Bruder geredet hatten, waren wir bereit für das Glück. Wir konnten wieder lachen, wenn wir von Kurt und Schiepchen erzählten, und uns aneinander freuen. »Du bist mein Belohnungskind«, sagte meine Mutter eines Tages. »Du bist das Beste, was mir passieren konnte.« Ohne mich, das wusste sie, wäre sie im Altersheim gelandet. Mit mir aber blieb sie fit, und selbst heute, wo sie kaum aus dem Haus geht, erlebt sie durch mich eine Menge. Meine Reisen, meine Engagements – ich habe so viel zu erzählen. Am meisten reden wir beim Frühstück. Zwei Stunden nehmen wir uns jeden Morgen, dann gibt es warmen Haferbrei und wir besprechen alles ausgiebig. Anschließend gehe ich in mein Zimmer und lese, bis es Zeit wird einzukaufen. Zwar bin ich es, die für uns kocht, aber oft steht Mami daneben und sagt mir, was ich tun soll. Eintöpfe gelingen ihr viel besser.
Ganz allmählich nahm ich mein Leben wieder in die Hand. Ich kaufte Pinsel und Farben und strich die alten Möbel. Ich wollte etwas verändern, um mich selbst aufzumöbeln. Ich suchte Impulse und kam wieder in Bewegung. Mein Zimmer war viel zu klein für meine Tanzübungen, doch ich erfand ein neues Programm, mit dem ich sogar dort in dreißig Minuten meinen ganzen Körper trainierte. Ich kaufte mir neue Gewichte, wanderte mit den Hanteln in die verschiedenen Ecken und schob den Tisch immer dahin, wo er gerade nicht störte. Täglich übte ich diszipliniert: Wirbelsäule strecken, Brustmuskulatur kräftigen, mich drehen und bewegen, bis jede Faser im Körper warm und angeregt war. Ich hatte noch immer meine Kollegin aus Las Vegas im Ohr: »Eveline, wenn du damit anfängst, musst du weitermachen, bis du tot umfällst.« Doch sie hatte auch gesagt: »Du kannst das Training immer weiterentwickeln, wie du es gerade brauchst.« Das tat ich nun, nach meinen Bedürfnissen und unter den neuen Lebensumständen. Nie habe ich einen Coach engagiert. Ich war immer auf mich selbst und meine knappen Mittel angewiesen. Und auf meine eigenen Ideen.
Auch meine Gesangsübungen nahm ich wieder auf. Schon in Frankreich war ich mit Chansons aufgetreten und nun verspürte ich wieder Lust. Ich klopfte bei einer Ballettschule an, ob ich dort üben dürfe. »Kein Problem, wenn der Saal leer steht«, lautete die freundliche Antwort. Doch bald kam ich allein nicht weiter. Was tun? Für Unterricht reichte mein Geld nicht aus. Ich schrieb ein paar Zettel und pinnte sie in der Musikhochschule ans Schwarze Brett: »Suche Begleitung, suche Lehrer …« Tatsächlich wurde ich erhört. Jan Studt, ein Student, erklärte sich bereit, mich alle zwei Wochen am Klavier zu begleiten, damit ich in Schwung blieb. Schon bald aber arbeiteten wir ganz intensiv zusammen. Wir bauten mein Repertoire aus und spielten sogar drei Lieder ein, die ich als Demo nutzen konnte: A Whiter Shade of Pale , Zarah Leanders Nur nicht aus Liebe weinen und eine großartige Nummer aus den Zwanzigerjahren, Die Stripteasetänzerin : »Mit meinem Tüllkostüm beginnt die Demontage, dann mach ich ritsch und steig aus meiner Wäsche raus …« Dieses Lied wählte ich, weil es etwas Körperliches hatte. Das würde sich schön brüchig inszenieren lassen. So präparierte ich mich bis ins Detail, um einen
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