Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
Agenten zu suchen. Wenn ich ihn erst gefunden hatte, musste ich fit sein. Auf keinen Fall wollte ich Angebote ablehnen, weil ich so lange raus war. Das durfte nicht passieren.
Deshalb las ich auch wieder Bücher, auf meine spezielle Schauspielerinnenweise. Ganz langsam, als wolle ich alles auswendig lernen, drei Seiten am Stück und dann wieder von vorn, immer mit der Frage im Kopf, was zwischen den Zeilen geschrieben steht. Erst wenn ich das erfasst habe, kann ich improvisieren. Ich frage mich, wie setze ich den Inhalt um? Ich muss es vor mir sehen, als Szene. Wie spricht eine Figur? Wie reagiert die andere? Um mir das vorzustellen, legte ich das Buch aus der Hand und ging in mich. Manchmal erfand ich sogar Personen dazu, weil sie mir gut ins Bild passten – ganz tief drang ich in diese Stoffe ein und stellte mir vor, sie zu spielen.
So malte ich mir Dinge aus, lebte in einem selbst gesponnenen Kokon. Irgendwo musste noch ein Zug für mich im Depot stehen, der mich an neue Ziele bringen würde. Eines Tages würde er sich in Bewegung setzen und dann brauchte ich nur aufzuspringen. So war es oft in meinem Leben gelaufen. Ich war den Chancen nicht hinterhergelaufen, sie hatten sich geboten und ich hatte zugepackt, einfach gemacht. Wie irreal meine Träume gewirkt haben müssen, zeigten mir unsere Freunde, wenn sie zum Kartenspielen kamen. »In deinem Alter?«, fragten sie. »Was willst du denn noch machen?« Zwar zog mich das runter, aber sie hatten ja recht! Der Arbeitsmarkt war schwierig, gerade für eine Künstlerin, die so lange fort gewesen war. Doch ihre Worte weckten meinen Selbsterhaltungstrieb. Es musste noch andere Wege geben!
Mein Training brachte mich auf die Idee: Wenn ich es schaffte, mit meinem kleinen Programm zu Hause fit und schön zu bleiben, konnten andere das auch. Sie mussten nur wissen, wie es geht. Das würde ich ihnen zeigen. Jetzt ließ sich aus meinen Anatomiestudien und meiner Erfahrung Kapital schlagen. Ich wurde also Personal Trainer, für sechzig Mark die Stunde. Mein Slogan stand schnell fest: »Ihre Figur nach Maß – Eveline Hall. Komme zu Ihnen nach Hause und bringe Sie in Form.« Ich druckte ihn auf Visitenkarten, streute sie unters Volk und jubelte, als sich die ersten Frauen meldeten. Übergewichtig seien sie und lange schon unzufrieden, erzählten sie am Telefon. Das werden wir jetzt ändern, versprach ich. Doch schon nach vier, fünf Terminen schmiss ich das Ganze hin. Es war die reinste Qual für mich! Diese Leute waren völlig unbedarft, sie verstanden gar nicht, was ich von ihnen wollte. Und ich begriff, dass niemand mein Training einfach übernehmen konnte. Ich hatte es mir über lange Zeit erarbeitet, für mich ganz individuell. Was für eine blöde Idee! Dass dieser Versuch missglückt war, zog mich tief runter und ich versank in Selbstmitleid: Wie gut ginge es mir jetzt in Paris, dort wäre alles anders, ich hätte lauter Möglichkeiten! Ich fühlte mich vom Schicksal verschaukelt. Alles, was ich je getan hatte und konnte, war in diesem Moment weg. Ich war eine Null.
Trotzdem trainierte ich weiter, sang und lernte monatelang, ohne dass etwas passierte. Nur mein Kampfgeist war geweckt. Vielleicht sollte ich doch wieder spielen. Bloß wo? Am Thalia Theater hatte ich keine Chance, dort beschäftigten sie ein festes Ensemble. Ich sprach mit verschiedenen Intendanten. Sie wussten sehr wohl, dass ich viele anspruchsvolle Rollen gespielt hatte, und tatsächlich bekam ich ein paar Angebote. Doch keines lockte mich wirklich. Da wurde mir klar, dass das Theater hinter mir lag. Ein paar unerfüllte Wünsche hegte ich noch: einmal mit Regisseuren wie Robert Wilson oder Patrice Chéreau zu arbeiten. Aber viel stärker zog es mich nun zum Film. Aus Überzeugung hätte ich die kleinen Theaterrollen nicht gespielt, höchstens aus Verzweiflung. Doch so schlecht ging es mir noch nicht.
Erst später griff ich zu. Da war ich schon monatelang kaum mehr aus dem Haus gekommen. Ich brauchte eine Aufgabe – dann eben in einem Offtheater. Es ging um eine Hosenrolle, die ich ja sehr liebe, also nahm ich das Angebot an. Ein halbes Jahr lang spielte ich einen Mechaniker in dem Stück Mütternacht von Lisa Engel. Natürlich war die Gage klein, aber ich legte trotzdem meinen ganzen Ehrgeiz in die Arbeit. Wir probten Stunden um Stunden, bis spät in die Nacht, und nach der Premiere in Trier tourten wir monatelang durchs Land. Es war unglaublich anstrengend: ständig wechselnde Hotels, versiffte
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