Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
Aulen und Säle, Hass und Missgunst, die in unserem Ensemble bald die Stimmung vergifteten. Am liebsten wäre ich abgehauen und oft habe ich geweint. Ich brauchte Wochen, um mich danach zu erholen. Das war das letzte Mal für mich.
Es waren Jahre des Suchens und Ausprobierens. Was konnte ich tun, was wollte ich tun und wo hatte ich überhaupt eine Chance? Ich zog Bilanz. Die kleinen Fernsehrollen, Messejobs und Fotoshootings in Frankreich – sie durften nicht umsonst gewesen sein. Ich hängte mich ans Telefon, ließ mir Bilder und Belege schicken und stellte eine Mappe zusammen. Dann rief ich Leute an, die ich von früher kannte. Ich erzählte, was ich suchte – und bekam tatsächlich Tipps. Eine Castingfirma aus Frankfurt suchte eine Moderatorin für Modenschauen auf der Hamburger Verbrauchermesse Du und deine Welt . Das lag mir doch! Dreimal am Tag sollte ich eine einstündige Show moderieren, mit Musikeinlagen und Mannequins. »Hier sehen sie Steffi im Modell Garden Party aus der Kollektion English Rose . Beachten Sie bitte den eleganten Schwung und die raffinierte kleine Paspel am Dekolleté.« Im Grunde lief es ab wie in den Fünfzigern bei Dior im Salon, nur viel, viel größer und anonymer in dieser Riesenhalle. Ganz ehrlich: Es war furchtbar. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich keinen Einfluss auf die Organisation, ich musste mich einfach auf andere verlassen, die mir irgendetwas sagten und ein paar Papiere in die Hand drückten. Zu allem Unglück widersprachen sich die Instruktionen: »Dies musst du nicht kommentieren.« – »Dies ist ganz wichtig.« Ich war komplett verwirrt und fühlte mich sehr unwohl. Doch ich habs durchgezogen, mein klägliches Debut im September 2000.
Dann lieber Chansons! Ich fuhr nach Berlin zu einem Vorsingen. Dafür hatte ich die Nummer der Mama Morton aus Chicago vorbereitet, da konnte ich meine ganze Wucht ausspielen. Ich baute mich vor den Leuten auf und sang mit tiefem Bass: »Ask any of the chickies in my pen …« Nicht schlecht, vielen Dank – aber sie suchten einen Sopran. Entschlossen, mich nicht entmutigen zu lassen, lief ich durch die Stadt. Ich hatte noch ein Ziel, die Volksbühne, wo an dem Abend eine Premiere anstand. Eine frühere Kollegin arbeitete dort im Sekretariat und besorgte mir eine Karte. An das Stück kann ich mich nicht mehr erinnern, aber umso mehr an Herbert Fritsch, meinen geschätzten Kollegen aus Basel, der im Foyer plötzlich vor mir stand. Wir fielen uns in die Arme und kamen gleich ins Erzählen. Er war auf der Suche nach Mitstreitern für sein Projekt Hamlet X . Er wollte den alten Shakespeare-Stoff in unseren heutigen Alltag übertragen, für Bühnen, Fernsehen, Buch und Internet. Nicht als klassisches Theaterstück, sondern als ein Mosaik aus vielen einzelnen Szenen. Hamlet sollte für alle stehen, die staunend auf die Welt schauen, auf Macht, Intrigen und Misstrauen, auf Liebe und Freundschaft. Das erzählte mit Herbert im Schnelldurchgang. Er wollte etwas Komisches, Theatralisches inszenieren, und so, wie er mich kannte, passte ich natürlich dazu. Fast alle großen deutschen Schauspieler machten mit. Das Herz ging mir auf bei diesen Namen: Susanne Lothar, Ulrich Mühe, Burghart Klaußner, Martin Wuttke, Corinna Harfouch … Ich gab Herbert gleich meine Visitenkarte.
Als er sich wieder meldete, lachte er sich halb tot. »Figur nach Maß – was ist das denn für eine schräge Geschichte?«, fragte er. »Ist ja wohl klar, dass wir daraus was machen.« Ich sollte die Freundin von Hamlets Mutter Gertrude spielen und ihr vorhalten, dass ich ihren Platz verdiene, weil ich viel besser und schöner sei als sie. »Du erzählst ihr, was sie für ne Null ist«, sagte Herbert. Wir drehten meine Sechs-Minuten-Filmsequenz Figur nach Maß in einem kleinen, schäbigen Schönheitssalon. Zwischen Solarium und Liege, mit wasserstoffblonder Perücke, in Netzstrümpfen und Spitzenbody hielt ich meinen Monolog. Alles legte ich da hinein, meine Überzeugung, wie wichtig das tägliche Training ist für die Körperästhetik, meinen Frust über die Kundinnen, die längst nicht mehr zu retten waren. Vor allem aber meinen Ärger über die vielen Frauen, die sich Jobs anmaßen, ohne dafür präpariert zu sein. So auch Gertrude. Immer lief sie mir nach, vom Ballett über das Lido bis zum Gesang, und immer wollte sie meinen Rat, in meine Fußstapfen treten. »Du kannst nicht so aussehen!«, schrie ich. »Eigentlich müsste ich die Königin sein. Zeig mir doch
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