Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
mal, dass du auch so singen kannst wie ich.« Ich stemmte meine Hanteln, warf die Beine, sang und keuchte. Die Schnitte, die Tonspuren, meine Bewegungen und meine Atemstöße – alles wurde immer wirrer, bis ich am Ende nur noch kreischte. Wie habe ich es genossen! Endlich stand ich wieder vor einer Kamera, konnte spielen und improvisieren wie früher.
Herbert war der beste, begabteste Regisseur für dieses Projekt. Er liebt es, wenn das Gedärm rausspritzt, er kennt kein Halten bei solchen Inszenierungen. In dem winzigen Raum lag er flach auf dem Boden und gab mir Ezzes. »Giftiger!«, zischte er. »Noch böser!« Er war schon ein besessener Schauspieler – kein Wunder, dass er heute als Regisseur so gefragt ist. Hamlet X ist seit Jahren ein Erfolg, es tourte durch Ausstellungen und Theaterfestivals und 2008 lief eine lange Filmnacht auf 3sat.
Es waren oft Theaterleute, die mir zu neuen Kontakten verhalfen und mich so immer wieder aufstehen ließen. Durch eine Freundin vom Ballett kam ich zum Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin. Sie suchten Tänzer und Sänger für einen Galaabend. Auch dort konnte ich landen. Ich war überglücklich, denn der Mann, der mich am Flügel begleitete, war Ralf Zander, der Korrepetitor der Oper Schwerin. Ralf war einfach Weltklasse, ein hochgebildeter Mann. Mit ihm studierte ich Lieder ein von Zarah Leander und Marlene Dietrich. Zu jedem der alten Stücke konnte er etwas erzählen. Es lief so wunderbar zwischen uns, dass wir Freunde wurden und schon bald neue Pläne schmiedeten. »Wir müssen noch einen Abend zusammen machen, wir zwei«, sagte er. Wir feilten an Ideen und malten uns schon eine Tournee aus. Da dachte ich mir: Na siehst du, jetzt geht es weiter. Immer von einem Engagement zum nächsten. Leider wurde nichts aus unserem Auftritt. Ralf war als Korrepetitor so gefragt, dass kaum Zeit blieb für unsere Proben. Es war ein Jammer. Doch wir blieben in Kontakt. Und als ich später einmal, das war schon 2004, mit ihm zu Abend aß, kam ein schöner junger Opernsänger dazu – Schwerin ist eine kleine Stadt, Theatervolk trifft man dort überall. Ich fragte ihn: »Kennst du eine Agentur, bei der das Alter nicht wichtig ist, bei der ich all das unterbringe, was ich kann, also spielen, singen, Mode vorführen?« Er war tatsächlich selbst bei einer solchen Agentur, Dee Bee Phunky hieß sie und saß in Berlin. Ich rief sofort dort an und sprach mit Ringo Kaufhold, dem Geschäftsführer. Ich sollte ihm meine Mappe mailen, doch ich besaß ja keinen Computer. Da nahm ich meinen ganzen Charme zusammen und sagte einfach: »Ich bin sechzig, und sone Sechzigjährige hast du noch nie gesehen.« – »Wenn du das meinst, dann komm doch her«, sagte er. »Kannst gleich beim Casting mitmachen.«
Anders als die anderen
Ich rauschte bei Dee Bee Phunky zur Tür hinein, zurechtgemacht und frisiert, als käme ich gerade aus Las Vegas. Tadadada! – Ringo machte große Augen: »So eine Sechzigjährige hab ich wirklich noch nicht gesehen!« Er trommelte seine Kollegen zusammen, um mich vorzustellen. »Ich nehme dich auf«, meinte er. »Und wie gesagt: Wir casten heute reifere Models.« Dee Bee Phunky ist eine Peopleagentur, sie vertritt Menschen, die aussehen wie der Nachbar von nebenan. Gute Typen, schräge Vögel, aber nicht modelmäßig schön. In dieser Nische ist Ringo ein Macher, denn er hat auch eine Castingagentur, das heißt, er sucht selbst für seine Kunden die richtigen Darsteller. Ringo schickte mich also gleich zu den anderen Kandidatinnen: zwanzig, dreißig Frauen in meinem Alter, die sich gerade einschrieben. Das Auswahlverfahren dauerte den ganzen Tag. Wir sollten verschiedene Posen einnehmen, in unseren Bewegungen Freude ausdrücken, Texte nachsprechen. Wir mussten einzeln vor die Kamera treten, unsere Namen nennen und uns von allen Seiten zeigen. Vier oder fünf Frauen wurden genommen – und ich war dabei!
Es ging nach Kiew, wir drehten einen Werbefilm für Ariel-Colorwaschmittel. Am Flughafen wurde ich abgeholt und zum Hotel gefahren. Ich tat mich – genau wie früher – sofort mit einer Kollegin zusammen. Jule hieß diese wunderhübsche Frau. Ich sah sie, als wir uns umzogen, und es war Liebe auf den ersten Blick. Die ganzen Tage blieben wir zusammen und sind noch heute befreundet. Die Agentur stellte uns jemanden zur Seite, weil wir völlig verloren gewesen wären ohne Fremdenführer. Er zeigte uns Kiew von seiner schönsten Seite, es war ein einziger Traum. Am
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