Ich steig aus und mach 'ne eigene Show (German Edition)
liebsten wäre ich geblieben, so schön fand ich die Stadt. Arbeiten mussten wir natürlich auch. Wir drehten vor einem prunkvollen Schloss in einem riesigen Garten. Dort sollten wir uns austoben, tanzen und springen, damit unsere bunten Kleider gut wirkten. Abends gab es ein großes Essen mit dem ganzen Team und wieder wurden wir schwer verwöhnt. An diesem einen Tag verdiente ich über dreitausendfünfhundert Euro plus Buy-out, das heißt, ich bekam noch einmal Geld, als das Ganze gesendet wurde.
Ich fühlte mich vom Glück geküsst. Das Leben ging wieder los! Eine Tür hatte sich geöffnet. Eine kleine Tür zwar, aber sie ging auf. Dee Bee Phunky buchte mich für Fotoshootings und Werbespots und meist ging es um Mode. Ein Fotograf empfahl mich dem nächsten, die Stylisten arbeiteten gern mit mir und schnell sprach sich in der Branche herum: Da gibt es jetzt ein älteres Model, das ist ganz anders als die anderen Reiferen. Sie kann sich bewegen, sexy Rollen spielen.
Sobald ich wieder flüssig war, begann ich die Wohnung umzugestalten. Als Erstes kaufte ich mir ein Bett. Doch ich wollte auch endlich meine Möbel aus Frankreich zu mir holen. Der Transport kostete ein paar Tausend Euro, die besaß ich natürlich nicht. Aber ich hatte eine Bekannte im Export-Import-Geschäft, deren Firma auch zwischen Hamburg und Paris hin- und herfuhr. Sie schickte einen Wagen zu Serge, der die Möbel schon von Aix herübergeschafft hatte. Drei Tage später standen sie vor meiner Tür – ohne dass ich einen Cent bezahlen musste. Der liebe Gott war wieder einmal auf meiner Seite. Serge hatte alles sorgfältig eingepackt, jedes Teil war gut geschützt und akribisch beschriftet – so verantwortungsvoll war dieser Mann. Ich verstaute zuerst alles auf dem Boden und fing dann langsam an, die Möbel auszutauschen. In meinem Zimmer war nun Platz für den kleinen Bistrotisch und einen Korb für meine Zeitungen und Zeitschriften. Endlich fühlte ich mich zu Hause bei Mami.
Doch auch das Reisen genoss ich sehr. Bald war ich einmal im Monat unterwegs, kam in ganz Europa herum. Eins meiner Highlights war die Produktion mit Una Wiener in Wien. Sie ist die ältere Schwester der Köchin Sarah Wiener und führte als Kreativdirektorin die Werbeagentur Young & Rubicam Vienna. Das Casting lief über Dee Bee Phunky, sie suchten zwei Frauen – eine junge und eine reife– und einen jungen Mann. Zweihundert ältere Damen bewarben sich und den Job bekam ich – zumindest dachte ich das, bis ich in Wien die andere sah, eine ganz Niedliche mit lockigem Omahaar. Sie hatten zwei Reifere gecastet, weil sie sich nicht entscheiden konnten. Sie fanden uns einfach zu süß, jede auf ihre Weise. So etwas habe ich in diesem Geschäft nie wieder erlebt. Für uns war es Fügung, da bin ich sicher. Denn diese Kollegin war Henriette Gonnermann, eine bekannte Berliner Tänzerin und Schauspielerin, die früher bei Liebling Kreuzberg und Drei Damen vom Grill mitgewirkt hatte und bis heute gefragt ist. In den Achtzigerjahren war sie auch in Berlin am Theater des Westens aufgetreten. Dann kannten wir ja dieselben Leute, dachte ich. »Kennst du auch diesen und jenen Kollegen?« – »Ja, klar! Zehn Jahre hab ich mit dem verbracht!« – »Dasselbe Theater, derselbe Regisseur …« So ging es hin und her. »Henriette«, rief ich, »wir sind ja fast verwandt!« Sie hatte auch mit Helmut Baumann gearbeitet. »Der erzählte immer von dir«, sagte sie. »Da gibts eine, sagte der, die beißt sich durch, bis sie die Rolle hat, die sie unbedingt will. Wie im Musical Chicago . – Ich kannte dich also schon aus seinen Geschichten.« Henriettchen und ich waren vollkommen beglückt von unserer Begegnung und gluckten den ganzen Tag zusammen.
Es ging um einen großen Werbespot, doch wie früher auf den Balletttourneen war mir viel wichtiger, mit wem ich zusammen war und dass ich mich amüsierte. Gute Hotels, großzügiges Catering, tolle Leute, darauf kam es an. Der Job an sich war ja keine Herausforderung. Ob ich nun für Ariel oder Persil antrat, war mir ganz egal. Ich wurde umgarnt und das tat mir gut. Überall bekam ich zum Abschied Geschenke. Kleider, die ich beim Shooting getragen hatte, wurden mir geradezu angedient. »Du sahst so süß darin aus, Eveline, und wem passt es denn sonst, wenn nicht dir mit deiner zarten Figur …« Ich habe überall darauf geachtet, etwas mitzunehmen, als Erinnerung an diese schönen Tage. Wie die kleine Kiezratte damals in Berlin trug ich die
Weitere Kostenlose Bücher