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Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Titel: Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shoko Tendo
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kam ich wieder zu mir.
    »Ich komme sofort vorbei.«
    »Nein, es ist doch schon so spät.«
    »Ist in Ordnung, wenn du dann schläfst, Papa.«
    Ich legte auf, rannte aus der Wohnung, sprang in das nächste Taxi und fuhr zu Maki, bei der Papa ja wohnte. Am Telefon hatte er ganz ruhig geklungen, so als würde er über jemand anderen reden, als ginge ihn das alles nichts an.
    Im Taxi stiegen Kindheitserinnerungen in mir hoch. Mein orangefarbener Plüschhund, mit dem ich als kleines Mädchen immer geschlafen hatte. Großvaters Taschenuhr mit der silbernen Kette. Großmutters Buchsbaumkamm, den Mama mir geschenkt hatte. Die rosa Spieluhr, die Mama im Kaufhaus für mich ausgesucht hatte. Wenn ich ihren Deckel öffnete, drehte sich die Messingtrommel mit ihren kleinen Stiften, die wie Dornen am Stiel einer Rose aussahen. Und wenn diese Dornen die kleinen Blütenblätter der Tastatur zum Klingen brachten, ertönte die Spanische Romanze . Ich mochte die ruhige Musik und zog die Spieluhr jeden Tag mehrmals auf. Leider ging sie bald kaputt und gab keinen Ton mehr von sich. Trotzdem putzte ich sie regelmäßig und stellte sie ins Regal. Dann das Kaleidoskop, das Mama mir geschenkt hatte und durch das ich so gerne blickte.
    »Mama, schau mal!«
    »Das ist aber schön.«
    Aber das Kaleidoskop hatte danach nie mehr das gleiche Muster erzeugt, das ich Mama damals gezeigt hatte, ganz egal, wie oft ich es auch schüttelte und hindurchsah. Ich hatte immer so gut auf meine Sachen aufgepasst, warum hatte ich sie dann doch irgendwann alle verloren? Wo konnte ich finden, was ich suchte? Und was suchte ich eigentlich?
    »Lieb, dass du gekommen bist«, sagte Papa lächelnd, als ich bei Maki ankam und im Flur meine Schuhe auszog.
    »Papa, hast du wirklich Krebs?«
    »In letzter Zeit hatte ich oft Magenschmerzen, aber ich habe mich nicht weiter darum gekümmert, weil ich schon immer Magenprobleme hatte. Irgendwann kam es mir dann aber doch eigenartig vor, deshalb bin ich heute Morgen beim Arzt gewesen. Um dich mache ich mir keine Sorgen, Shoko, aber Maki … Sie ist hoch verschuldet und hat ein Kind. Und ihr Mann ist, wie er ist, da kann man nichts machen.«
    Papa sah so aus wie immer.
    »Bitte erzähl mir ganz genau, was sie dir im Krankenhaus gesagt haben.«
    Der Arzt hatte zu Beginn seiner Untersuchung gemeint, dass Vater nicht genug auf seine Gesundheit achten und sich körperlich zugrunde richten würde. Er belehrte meinen Vater, der Diabetes hatte, für den er allerdings kein Insulin brauchte, noch, als er ihm bereits das Endoskop in den Hals eingeführt hatte, schwieg dann aber plötzlich, als er den Tumor entdeckte.
    »Doktor, bitte sagen Sie mir die Wahrheit, ich halte das aus.«
    »Nun, also, es …«
    »Seien Sie ehrlich. Es ist Krebs, oder? Wie lange habe ich noch zu leben?«
    »Da der Tumor bösartig aussieht, geht es ungefähr um ein halbes Jahr.«
    »Gut, bis dahin muss ich noch einiges erledigen.«
    »Aber Tendo-san, was reden Sie denn da? Soll ich Sie nicht sofort einweisen lassen?«
    »Ich denke, das wird nicht nötig sein.«
    »Aber wollen Sie denn keine Behandlung?«
    »Brauche ich nicht.«
    »Die Schmerzen werden aber unerträglich werden. Ich rate Ihnen dringend, sich ins Krankenhaus einliefern zu lassen.«
    Doch obwohl der Arzt ihn eindringlich warnte, war mein Vater wieder nach Hause gegangen.
    »Papa, bitte, geh ins Krankenhaus. Ich flehe dich an!«, bettelte ich, nachdem er mir alles erzählt hatte.
    »Nein, das will ich nicht. Ich möchte meine letzten Tage bei Maki verbringen. Shoko, du musst in Zukunft auf Maki aufpassen.«
    »Aber Papa …«
    Obwohl es um sein Leben ging, machte er sich nur Sorgen um Maki.
    Das war der Anfang seines Kampfes gegen den Krebs, und das ohne Medikamente.
    Ich überlegte die ganze Zeit, ob sich seine Lebensdauer nicht vielleicht wenigstens etwas verlängern ließe, wenn er sich operieren lassen würde. Doch irgendwann beschloss ich zu akzeptieren, dass er todkrank war, und seinen Willen zu respektieren. Also stürzte ich mich in meine Arbeit. Ich war nämlich gerade zur Nummer zwei im Club aufgestiegen, doch Nummer drei war dicht hinter mir.
    »Bitte, leihen Sie uns etwas Geld.«
    Icchans Eltern verbeugten sich vor meinem Vater, der gegen die Schmerzen ankämpfte, und pressten ihre Stirn auf die Tatami-Matten vor seinem Bett. Vaters Geschäftspartner hatte ihm an seinem letzten Arbeitstag 800 000 Yen (etwa 7200 Euro) überwiesen, und Icchans Eltern hatten das irgendwie erfahren.

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