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Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition)

Titel: Ich, Tochter eines Yakuza (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shoko Tendo
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Jahre nach Mamas Tod.
    Am 5. Oktober 1997 stieg mein Vater im Alter von 70 Jahren um 10.12 Uhr in den Himmel auf, wo Mama bestimmt schon auf ihn wartete. Maki fiel auf die Knie und fing an, laut zu schluchzen. Ich weinte leise vor mich hin.
    Die Pfleger brachten Papa in die Trauerhalle. Er sah so friedlich aus, gar nicht wie damals, als ich Angst vor ihm gehabt hatte.
    Maki fuhr daraufhin nach Hause, um ein Foto von ihm und ihren Trauerkimono zu holen.
    »Papa …«, ich legte meine Hände um sein Gesicht. Dabei fiel Watte heraus, die er in sein rechtes Ohr gestopft hatte, und ein Tropfen warmes Blut fiel auf meinen Handrücken.
    Ich musste daran denken, wie meine ganze Familie einmal, als wir noch Kinder waren, nach einem Sommerfest im Mondschein nach Hause gegangen war. Der Goldfisch, den ich gefangen hatte, schwamm in einer prallen Plastiktüte, und ich hatte einen kandierten Apfel in der Hand, der glänzte wie Porzellan, und Zuckerwatte, so leicht wie Schneeflocken. Ich war noch ziemlich klein und hatte eine ganze Menge Süßigkeiten bekommen, die ich sicher nach Hause bringen wollte. Auf einmal löste sich die Schnur meines Luftballons, die ich an meinem linken kleinen Finger festgeknotet hatte, und der Ballon schwebte vom Windhauch getrieben nach oben. Vergebens stellte ich mich auf die Zehenspitzen und versuchte ihn wieder einzufangen. Wohin war der Ballon damals wohl geflogen, fragte ich mich.
    Ich zog nun auch meinen Trauerkimono an und schlug immer wieder auf die buddhistische Klangschale, deren Ton meinem Vater den Weg in den Himmel weisen sollte. Das Echo hallte durch den stillen Raum, und das Geräusch erinnerte mich an das Glöckchen an dem Talisman, den Papa mir einmal an Neujahr geschenkt hatte.
    »Ich löse dich ab.« Maki setzte sich im Fersensitz neben mich und schlug nun die Klangschale.
    »Möchtest du etwas essen?«, fragte mein großer Bruder und stellte eine Tüte mit Reisbällchen auf einen Tisch.
    »Shoko-chan …« Na-chan legte ihren Kopf in meinen Schoß, und ich biss in ein Reisbällchen, das salzig schmeckte wie Tränen.
    Zur Trauerfeier kamen auch Icchan und seine Eltern und drückten uns ihr Beileid aus. Sie verbeugten sich und wollten gerade Räucherstäbchen anzünden, als ich es nicht mehr aushielt und sie anschrie: »Was habt ihr hier zu suchen?«
    »Shoko, bitte nicht!«, flüsterte Maki.
    »Ach, sei still!«
    »Bitte, reg dich nicht auf«, bat mich Na-chan und klammerte sich an mich.
    »Ist gut, Na-chan«, beruhigte ich sie und strich mit zitternder Hand über ihren Rücken.
    Dann kam Takamitsu zurück, der für mich Papier und einen Umschlag besorgt hatte und mir nun beides mit einem Kugelschreiber zusammen überreichte. Ich schrieb einen Brief an meinen Vater und legte diesen zusammen mit meinem Glücksbringer-Glöckchen in den Sarg. Dann drückte ich noch einmal Papas Hand, die jetzt eiskalt war.
    Papa stieg als weißer Rauch in einen grauen Himmel auf, aus dem leichter Herbstregen fiel. Meine Tränen liefen wie Wasser und tropften sogar durch meine Hände, die ich vor mein Gesicht geschlagen hatte.
    Als Icchan begann, mit den dafür vorgesehenen Stäbchen die Knochen meines Vaters aufzusammeln, rief ich: »Ich will nicht, dass du ihn anfasst!«
    »Shoko, so redest du nicht mit meinem Mann«, sagte Maki empört und schlug mir gegen die Schulter.
    »Ja, und? Das ist mir doch egal!«
    »Schluss jetzt!«, schrie Takamitsu und gab mir zum ersten Mal eine Ohrfeige.
    »Keiner hat mir zu sagen, was ich tun soll. Und ihr drei, ihr verschwindet jetzt von hier, aber sofort.«
    Entschuldigungen murmelnd verbeugten sich Icchan und seine Eltern mehrmals und verließen schließlich den Raum.
    Daiki, Maki, Na-chan, Takamitsu und ich sammelten nun die Knochen auf und legten sie sorgfältig in eine Urne. Maki nahm sie mit nach Hause und begoss sie mit ihren Tränen.

9 . G ETRENNTE W EGE
    Nach Papas Tod kam Maki endlich zur Vernunft und reichte die Scheidung ein. Dann fand sie einen Job als Hostess in einer Bar und fand sich auch mit der Tatsache ab, ihr Kind allein großzuziehen. Sie musste versuchen, Icchans horrende Schulden in Monatsraten zurückzubezahlen, denn Icchan und seine Eltern waren irgendwann plötzlich verschwunden, ohne ihre Schulden zu begleichen. Seitdem hatten wir nichts mehr von ihnen gehört.
    Anders als damals nach Mamas Tod stürzte ich mich jetzt noch viel mehr als vorher auf meine Arbeit. Ich traf mich sogar an meinem freien Tag mit meinen Kunden, machte mehr

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