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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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allein auf dem Boden des Fürstentums zu agieren. Die Tatsache, dass er eine Stichwaffe verwendet, die ihm einen direkten Kontakt mit seinem Opfer ermöglicht. Wenn wir so wollen, dann kann die Praxis, seine Opfer zu häuten, zugleich als fetischistisches Ritual wie auch als Overkill im engeren Sinne interpretiert werden.
    Mit der Verstümmelung der Leichen beweist sich der Mörder seine absolute Überlegenheit über die Person, die er treffen möchte. Auch die Ruheperiode zwischen den einzelnen Morden fügt sich gut in dieses Gesamtbild ein. Bis zu diesem Punkt scheint also alles normal zu sein …«
    »Jedoch …?«, fragte Durand mit einer tiefen Stimme, die in Relation zu seinem Äußeren vollkommen überdimensioniert erschien.
    Cluny machte eine Kunstpause. Er nahm die Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel, wie es Frank ihn schon öfter hatte tun sehen.
    Er schien eine außergewöhnliche Begabung dafür zu haben, die Aufmerksamkeit für das, was er sagte, lebendig zu halten. Nachdem er sich die Brille wieder aufgesetzt hatte, nickte er zustimmend zu Durand hinüber.
    »Exakt, hier beginnen die ›Jedochs‹ … Das Subjekt verfügt über einen außergewöhnlich umfangreichen Wortschatz und eine Abstraktionsfähigkeit, die das normale Maß weit überschreitet. Er liefert uns Bilder, die, bei all ihrer Bitterkeit, manchmal regelrecht poetisch sind. Auch die Definition seiner selbst als ›einer und keiner‹ fügt sich in diese Überlegungen ein. Abgesehen von seinem scharfen Verstand, muss er ein Mann mit sehr hohem kulturellem Wissen sein. Wahrscheinlich gehobene Schulbildung, humanistisch würde ich sagen, vielleicht sogar auf universitärer Ebene, was dem klassischen Bild des Serienkillers widerspricht, das überwiegend Angehörige mittlerer oder niedriger Schichten repräsentiert, mit geringem kulturellem Niveau und niedriger Schulbildung. Dies sind in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Menschen mit einem ziemlich niedrigen Intelligenzquotienten. Und da gibt es noch etwas, das mich verblüfft …«
    Wieder eine Pause. Frank sah den Psychopathologen erneut sein Ritual vollziehen, die Brille, das Reiben an der Nasenwurzel. Durand nutzte die Pause, um seine eigene Brille zu putzen.
    Szenenapplaus für Doktor Cluny. Sehr gut, wir sind alle nur wegen dir hier, aber bitte, mach weiter. Und entscheide dich bitte früher oder später dazu, Kontaktlinsen zu benutzen.
    225

    »Die Tatsache, dass sich im Verlauf des Gesprächs fast so etwas wie ein Zwang zum Verbrechen, zum Mord manifestiert. Wenn hinter einer solchen Persönlichkeitsstörung, quasi als Nährboden, die allgemeinen Lebensumstände des Täters stehen, wie etwa eine oppressive Familie, dominante Eltern oder Elternteile, Missbrauch oder Erniedrigungen oder Ähnliches, dann ist das mehr oder weniger normal. Aber hier liegt eine Haltung vor, die sich üblicherweise in Fällen von Persönlichkeitsspaltung manifestiert, als seien in diesem Subjekt zwei Personen zur gleichen Zeit präsent. Und hier kommen wir wieder auf das Thema ›einer und keiner‹ zurück, bei dem …«
    Frank hielt all diese Überlegungen für Bullshit, und basta.
    Eine schöne Stilübung, nichts weiter. In ihrem speziellen Fall war die Entwicklung eines Täterprofils zwar nützlich, jedoch nicht entscheidend. Dies war nicht nur ein Mensch, der handelte, sondern einer, der nachdachte, und zwar eine Menge nachdachte, bevor er zur Tat schritt. Und noch dazu in außergewöhnlicher Weise. Um ihn zu fassen, müsste es ihnen gelingen, noch über seine gedanklichen Fähigkeiten hinauszugehen.
    Er sprach es nicht aus, denn er fürchtete, dass seine schlichte Feststellung als Bewunderung ausgelegt werden könnte.
    Durand griff ein, und nach dem zu urteilen, was er sagte, müsste Frank zugeben, dass er nicht auf den Kopf gefallen war. Er wusste, wie man eine Konferenz dieser Art leitete.
    »Meine Herren, wir sind hier unter uns, und niemand hört uns zu.
    Dies ist kein Wettlauf, in dem es darum geht, sich zu profilieren. Ich möchte Sie bitten, ohne Zurückhaltung alles auf den Tisch zu legen, was Ihnen einfällt, auch wenn es Ihnen auf den ersten Blick zu banal erscheint. Man kann nie wissen, woher eine Idee kommt. Ich werde beginnen. Was gibt es über die Beziehung des Mörders zur Musik zu sagen?«
    Cluny zuckte die Achseln.
    »Dies ist ein weiterer widersprüchlicher Aspekt. ›Einer und keiner‹, noch einmal. Auf der einen Seite haben wir eine unübersehbare Leidenschaft, insofern, als

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