Ich Töte
bevor ich es hier in der Konferenz vorstelle. Ich hatte dir doch gesagt, dass da etwas war, das ich nicht greifen konnte, erinnerst du dich? Irgendetwas, an das ich mich hätte erinnern müssen, auf das ich aber einfach nicht mehr kam. Ich habe endlich herausbekommen, was es war. Eine Diskrepanz zwischen dem Film und den Fotos aus Yoshidas Haus, die Froben uns gebracht hat.«
»Und?«
Frank zog ein Foto aus dem Umschlag und reichte es Hulot.
»Schau den Schrank an. Den mit der Stereoanlage, hinter dem 230
Sessel. Was steht darauf?«
»Nichts.«
»Genau. Und jetzt schau mal hier …«
Frank nahm die VHS-Kassette und ging zum Fernseher hinüber, einem Philips Combi mit integriertem Videorekorder, der an der Wand gegenüber vom Tisch stand.
Er steckte die Kassette hinein, die noch an der Stelle war, wo er sie angehalten hatte. Er ließ das Bild stehen. Mit der Hand zeigte er auf einen Punkt auf dem Bildschirm hinter den beiden Figuren im Vordergrund.
»Da, siehst du, hier, auf demselben Schrank ist eine Plattenhülle angelehnt. Es handelt sich um eine Langspielplatte, aus Vinyl. In Yoshidas Haus gab es keine LPs, das hat mir Froben persönlich bestätigt. Nicht eine einzige. Auf dem Foto ist von dieser Hülle nichts mehr zu sehen. Was bedeutet, dass der Mörder seiner manischen Begeisterung für die Musik nicht widerstehen konnte und sich von zu Hause die passende Tonspur zu seinem neuen Verbrechen mitgebracht hatte. Das Bild ist etwas unscharf, weil die Qualität dieser in Eile und Wut angefertigten Kopie nicht besonders gut ist, aber ich bin mir sicher, dass man aus dem Originalband mit Hilfe der geeigneten Apparate herausfiltern kann, um welche LP es sich handelt. Die Tatsache, dass sie nicht am Ort des Verbrechens zurückgelassen wurde, hat eine besondere Bedeutung. Entweder für ihn oder allgemein. Vergessen wir nicht, dass dieser verdammte Kerl einen ziemlich ausgeprägten, wenn auch schwarzen Sinn für Humor hat.
Ich glaube, hätte er gekonnt, hätte er sich die Gelegenheit, uns einen weiteren Streich zu spielen, nur schwerlich entgehen lassen. Ich sage es noch einmal, es ist möglich, dass uns das keinen Schritt nach vorne bringt, aber es ist das Erste, was wir über den Mörder gegen seinen Willen herausfinden. Und wenn er noch so klein ist, es ist der erste Fehler, den er begangen hat …«
Eine Weile herrschte Schweigen. Frank brach es schließlich.
»Gibt es eine Möglichkeit, die VHS analysieren zu lassen, ohne allzu viel Öffentlichkeit?«, fragte er Hulot.
»Hier im Fürstentum sicher nicht. Lass mich überlegen … Guillaume vielleicht, der Sohn der Merciers, Freunden von uns. Er hat eine kleine Produktionsfirma. Macht Videoclips und solche Sachen.
Er steht noch ganz am Anfang, aber ich weiß, dass er sehr gut ist. Ich könnte es bei ihm versuchen.«
»Kann man ihm trauen?«
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»Er ist ein schlaues Kerlchen. Er war der beste Freund von Stephane. Wenn ich ihn darum bitte, wird er den Mund halten.«
»Gut. Ich glaube, es lohnt sich, den Film unter die Lupe zu nehmen, aber es ist etwas, das unter größter Diskretion stattfinden sollte.«
»Das denke ich auch. Im Übrigen hast du es ja selbst gesagt. Und sei es noch so klein, es ist das Einzige, was wir derzeit haben …«
Sie sahen sich an, und in diesem Blick lag vieles. Sie waren tatsächlich zwei Seiten derselben Medaille und sie steckten in derselben Tasche. Das Leben war nicht gerade zimperlich mit ihnen umgesprungen, mit keinem von beiden. Sie hatten den Mut bewiesen, sich wieder ins Spiel zu bringen, jeder auf seine Weise. In dieser Geschichte jedoch hatten sie sich den Ereignissen, die einmal mehr ihre Existenz aufzuwühlen drohten, vollkommen ausgeliefert gefühlt.
Jetzt begann, in diesem grauen Zimmer, dank eines fast zufällig entdeckten Details, eine kleine bunte Hoffnung ihre Kreise zu ziehen wie ein Drachen im Wind.
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Laurent Bedon schaltete den elektrischen Rasierapparat aus und betrachtete sich im Spiegel. Obwohl er spät aufgestanden war, hatten die Stunden des Schlafes die Spuren der Exzesse der letzten Nacht nicht auslöschen können. Er war im Morgengrauen nach Hause gekommen, schwer betrunken auf dem Bett zusammengebrochen und schon auf halbem Weg zum Kopfkissen eingeschlafen. Jetzt hatte er, trotz langer Dusche und Rasur, verquollene Tränensäcke unter den Augen und die bleiche Gesichtsfarbe eines Menschen, der schon seit geraumer Zeit nicht mehr bei Tageslicht lebt. Die Neonröhre im Bad mit ihrem
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