Ich Töte
sich neben ihm bewegt, mit ihm, im wiegenden Rhythmus des Tanzes aus elegantem Schreiten, Pausen und Verbeugungen, so oft geübt und wieder geübt, dass sie fließen wie der Wein, der sich in ein Glas schmiegt. Die Frau kann der Festigkeit seines Blickes nicht widerstehen, der die Erschaffung der Welt verspricht und ihre Zerstörung. Ab und zu richtet sie ihre von langen Wimpern umhüllten Augen auf die Zuschauer, fast als suche sie ungläubig die Bestätigung dafür, dass sie die Auserwählte ist. Bewunderung und Neid spiegeln sich in den Augen aller, die an den Rändern des Salons stehen und sie tanzen sehen.
Er weiß, dass diese Nacht ihm gehört.
Im gedämpften Licht eines Zimmers, erhellt nur durch den tanzenden Schein einer Kerze, verborgen in den Kissen und Spitzen eines riesigen Himmelbettes, wird er sie aus der Umhüllung der seidenen Laken emporsteigen sehen, wie eine knospende Rose, die ihre Blüte entfaltet.
Das ist das Vorrecht des Königs.
Aber all dies ist jetzt nicht wichtig. Jetzt tanzen sie und sind wunderschön. Und sie werden noch schöner sein, wenn …
Bist du da, Vibo?
Die Stimme kommt freundlich wie immer, ein wenig ängstlich besorgt, wie es nur diese Stimme sein kann. Sein Traum, das schöne Bild, das er sich vor den geschlossenen Augen erschaffen hat, verliert sich, löst sich auf, als brenne im Kinosaal der Film durch.
Er kehrt zurück in die Gegenwart des anderen, zu seinen Ver243
pflichtungen, seiner Verantwortung. Es war nur eine kurze Atempause, dahingeschmolzen wie zarter Schnee im Frühling. Hier ist kein Platz für Träume, war es nie, wird es nie sein. Früher hatte er noch träumen können, als sie in jenem großen Haus in den Hügeln lebten, als sie den verbissenen Bemühungen jenes Mannes entwischen konnten, der sie schon als Männer sehen wollte, während sie nichts als Kinder zu sein begehrten. Während sie zu laufen und nicht zu marschieren begehrten. Doch sogar dort gab es eine Stimme, die jeden Zauber, der ihrer Fantasie entsprang, zerstören konnte.
»Ja, ich bin hier, Paso.«
Was tust du? Ich habe dich nicht mehr gehört …
»Ich habe nur nachgedacht …«
Der Mann lässt die Musik weiterlaufen. Wie ein letztes Echo seiner armseligen Trugbilder. Es würde diesen Tanz mit einer wunderschönen Frau nie geben, weder für ihn noch für sie beide. Er steht auf und geht ins Nebenzimmer, wo ein lebloser Körper in seinem kristallenen Sarg liegt.
Er betätigt den Lichtschalter. Ein Lichtreflex spiegelt sich auf der klaren Oberfläche des Schreins. Er verblasst, als er weiter hineingeht und sich sein Blickwinkel verändert. Ein anderer Reflex leuchtet auf, doch sie sind immer nur ein und dasselbe. Armselige kleine Trugbilder. Er weiß schon, was er vorfinden wird. Eine weitere zerplatzte Illusion, ein weiterer Zauberspiegel in Scherben zu seinen Füßen.
Er tritt an den nackten Körper heran, lässt seinen Blick langsam über die vertrockneten, pergamentartigen Glieder schweifen, von den Füßen bis hin zum Kopf, den die Überreste dessen bedecken, was einmal das Gesicht eines anderen Mannes war.
Es bricht ihm das Herz.
Nichts ist für immer. Die Maske zeigt bereits die ersten Anzeichen von Verwesung. Die Haare sind struppig und stumpf. Die Haut ist ganz fleckig und schrumpelt zusammen. Schon bald, trotz all seiner Bemühungen, wird sie genauso aussehen wie die Haut des Gesichts, das sie verbirgt. Mit unendlicher Zärtlichkeit sieht er auf den Körper hinunter, mit den sanften Augen einer Zuneigung, die nichts und niemand auf der Welt je auslöschen kann.
Seine Miene verdüstert sich, er spannt die Kiefermuskeln an in der Wut der Rebellion.
Es stimmt nicht, dass das Schicksal unausweichlich ist. Es ist nicht wahr, dass man nur zusehen kann, wie die Zeit vergeht und die Dinge sich ereignen. Er kann es ändern, er muss etwas an dieser 244
ewigen Ungerechtigkeit ändern, er kann all die schrecklichen Dinge in Ordnung bringen, die das Schicksal mit vollen Händen austeilt, in jenem Schlangennest, in dem sich das Leben der Menschen abspielt.
Einfach so, ohne Rücksicht, ohne darauf zu achten, ob das, was geschieht, vielleicht die Existenz eines Menschen vernichtet oder ihn dazu verurteilt, für immer im Verborgenen zu leben.
Das Verborgene bedeutet Dunkelheit. Dunkelheit bedeutet Nacht.
Und Nacht bedeutet, dass die Jagd weitergeht.
Der Mann lächelt. Arme, dumme Hunde. Kläffen und Zähnefletschen, um ihre Angst zu überspielen. Nachtblinde Augen, die
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