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Ich Töte

Ich Töte

Titel: Ich Töte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giorgio Faletti
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Stimme noch einmal, und sie scheint von überall her zu kommen, direkt aus dem blendenden Licht, das sie umgibt.
    Der Mann weiß nun und möchte nicht wissen, sieht und möchte nicht sehen.
    Die Gestalt streckt die Arme nach ihm aus, und das, was sie auslöst, ist der pure Schrecken, auch wenn ihre Augen versuchen, das Mitleid des vor ihr Stehenden zu erregen, so wie sie, vermutlich vergebens, versucht hatten, das Mitleid der Welt zu erregen. Und das Licht ist plötzlich Feuer, hohe, brüllende Flammen, die alles, was sie auf ihrem Weg finden, verschlingen, ein Feuer, das direkt aus der Hölle zu kommen scheint, um die Erde zu reinigen.
    Er erwacht ohne jede Regung, öffnet einfach nur die Augen und tauscht die Dunkelheit gegen das Leuchten der Flammen.
    348

    Seine Hand greift in die Finsternis nach dem Beistand der Nachttischlampe. Er schaltet sie ein. Das schwache Licht verbreitet sich in dem nackten Zimmer.
    Sogleich ertönt die Stimme. Tote müssen, weil sie für immer schlafen, in Wirklichkeit nie schlafen.
    Was ist los, Vibo, kannst du nicht schlafen?
    »Nein, Paso, für heute habe ich genug geschlafen. Es ist momentan viel zu tun. Zeit zum Ausruhen werde ich danach haben …«
    Den Rest seines Gedankens führt er nicht mehr aus: wenn alles vollendet sein wird …
    Der Mann macht sich keine falschen Hoffnungen. Er weiß genau, dass früher oder später das Ende kommen wird. Alle menschlichen Dinge haben eins, genauso, wie sie einen Anfang haben. Aber im Moment ist alles noch offen, und er kann dem Körper im Sarg die Verlockung eines neuen Gesichts und sich selbst die Genugtuung eines gehaltenen Versprechens nicht vorenthalten.
    Es hatte eine kaputte Sanduhr im Nebel seines Traumes gegeben, eine Zeit, verschüttet vom Sand, der sich in der Erinnerung ausgebreitet hat. Hier, in der realen Welt, dreht sich diese Sanduhr weiterhin um ihre eigene Achse, und niemand wird sie je zerstören. Die Illusionen werden wie eh und je in Stücke brechen, aber jene unzerbrechliche Sanduhr nicht, sie wird sich ewig weiterdrehen, selbst wenn niemand mehr da sein wird, der die verrinnende Zeit misst.
    Der Mann merkt, wie spät es ist. Er steht auf und beginnt, sich anzuziehen.
    Was machst du?
    »Ich muss los.«
    Wirst du lange wegbleiben?
    »Weiß nicht. Den ganzen Tag, glaube ich. Vielleicht auch noch morgen.«
    Lass mich nicht in Sorge zurück. Du weißt, dass es mir schlecht geht, wenn du nicht da bist.
    Der Mann tritt zum Glaskasten und lächelt dem Albtraum dann liebevoll zu.
    »Ich lass das Licht brennen. Als du geschlafen hast, habe ich eine Überraschung vorbereitet.«
    Er streckt eine Hand nach dem Spiegel aus und hält ihn so über das Gesicht in dem Sarg, dass es sein eigenes Spiegelbild sehen kann.
    »Sieh mal …«
    349

    Oh, das ist ja fantastisch. Bin das ich? Vibo, ich bin wunderschön! Noch schöner als vorher.
    »Klar bist du schön, Paso. Und du wirst immer schöner.«
    Es gibt einen Augenblick des Schweigens, ein Schweigen regungsloser Erschütterung, die der Körper nicht mit Tränen ausdrucken kann und darf.
    »Ich muss jetzt gehen, Paso. Es ist sehr wichtig.«
    Der Mann dreht dem liegenden Körper den Rücken zu und geht zur Tür. Beim Übertreten der Schwelle wiederholt er den Satz, vielleicht nur für sich selbst.
    »Ja, es ist sehr wichtig.«
    Und die Jagd geht weiter.
    350

40
    Nicolas Hulot fuhr langsamer, lenkte nach rechts und nahm die Abfahrt, wo ein weißes Schild Aix-en-Provence ankündigte. Er hing hinter einem Laster mit spanischem Kennzeichen und der Aufschrift
    »Transportes Fernandez« auf der Plane, der langsam die kurze Ausfahrt entlangkroch. Kaum aus der Kurve heraus, fuhr der LKW
    rechts in eine Haltebucht, und der Kommissar überholte, um direkt vor der Fahrerkabine selbst anzuhalten. Er zog den Stadtplan, den er sich besorgt hatte, aus dem Türfach und legte ihn geöffnet aufs Lenkrad.
    Er sah sich noch einmal den Teil an, auf dem er bereits am Abend zuvor den Cours Mirabeau gefunden hatte. Im Großen und Ganzen war die Anlage der Stadt ziemlich einfach, und die Straße, die er suchte, lag genau im Zentrum.
    Er startete den Peugeot und fuhr die Straße entlang. Nach wenigen hundert Metern erreichte er einen Kreisverkehr und folgte den Schildern zum »Centre Ville«. Die Umgehungsstraße führte über Steigungen und Gefälle und unzählige Betonschwellen, extra für die Geschwindigkeitsfanatiker angelegt, und Hulot stellte fest, dass die Stadt extrem sauber und belebt war. Die Straßen

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