Ich Töte
Mal dazu verpflichtet.«
Helena stieg ein und hob den Kopf zu ihm, der noch immer an der geöffneten Wagentür stand.
»Es ist nicht nur aus reiner Höflichkeit …«
Frank wies mit dem Kopf auf den Megane.
»Das hier ist ein französischer Wagen. Wenn man das spezielle savoir faire nicht beherrscht, springt der Motor nicht an.«
Helena schien diese Avancen zu goutieren und betonte ihre Zustimmung mit einem kurzen Lachen.
»Sie überraschen mich, Mister Ottobre, vor allem in einem Zeitalter, da geistreiche Männer scheinbar vom Aussterben bedrohte Exemplare sind.«
Ihr Lächeln kam Frank kostbarer vor als jedes Schmuckstück, das jemals von einer Frau getragen worden war. Und angesichts dieses Lächelns fühlte er sich mit einem Schlag allein und entwaffnet.
Das ging ihm durch den Kopf, während er auf die andere Seite ging und einstieg. Beim Starten des Motors fragte er sich, wie lange das Geplänkel zwischen ihnen dauern würde, bevor sie zum eigentlichen Grund ihres Treffens kämen. Er fragte sich auch, wer von beiden zuerst den Mut aufbringen würde, es anzugehen.
Er sah das Profil von Helena, die Licht und Dunkel der Scheinwerfer entgegenkommender Autos spiegelte, ohne zu wissen, dass es dasselbe Licht und dasselbe Dunkel der Gedanken des Mannes war, der neben ihr saß. Sie drehte ihren Kopf und erwiderte seinen Blick.
Im Halbschatten war jede Spur von Freude aus ihren Augen verschwunden, die wieder wurden, was sie immer waren.
Frank begriff, dass sie den Startschuss geben würde.
»Ich kenne Ihre Geschichte, Frank. Von meinem Vater wurde ich 342
gezwungen, sie zu kennen. Alles, was er weiß, muss auch ich wissen, alles, was er ist, muss auch ich sein. Tut mir Leid, ich fühle mich wie ein Eindringling in Ihr Leben, und das ist kein erhebendes Gefühl.«
Frank kam das Gerede der Leute in den Sinn, wonach den Männern im Verhältnis zu den Frauen immer die Rolle des Jägers zukam.
Bei Helena Parker, so stellte er fest, waren die Rollen verrauscht.
Diese Frau war eine echte Jägerin und wusste es nicht einmal, vielleicht weil sie schon immer das Opfer gewesen war.
»Das Einzige, was ich Ihnen im Gegenzug anbieten kann, ist meine eigene Geschichte. Es fällt mir keine andere Rechtfertigung dafür ein, dass ich hier bei Ihnen bin und eine ganze Reihe von Fragen verkörpere, auf die sicherlich nur schwer eine Antwort zu finden ist.«
Frank lauschte Helenas Stimme und folgte langsam dem Strom der Autos, die von Roquebrune in Richtung Menton fuhren. Um sie herum war Leben, waren Lichter und normale Existenzen, Leute beim Spaziergang in der warmen und hellen Atmosphäre dieses Küstenstreifens, Leute auf der Suche nach etwas Flüchtigem, ohne anderen Grund als dem des flüchtigen Vergnügens an der Suche um des Suchens willen.
Hier sind keine Schätze, hier sind keine Inseln und auch keine Landkarten, nur die Illusion, solange sie andauert. Und manchmal ist das Ende der Illusion eine Stimme, die zwei simple Worte flüstert:
»Ich töte …«
Fast ohne es zu bemerken streckte Frank die Hand aus, um das Radio auszumachen, als ob er fürchtete, dass von einem Moment zum anderen eine unnatürliche Stimme ertönen und ihn wieder zur Vernunft bringen könnte. Die leise Hintergrundmusik verstummte.
»Das Problem ist nicht, dass Sie meine Geschichte kennen. Das Problem ist, dass ich eine habe. Ich hoffe für Sie, dass Ihre anders ist als meine.«
»Wenn sie viel anders wäre, denken Sie, ich wäre dann hier?«
Helenas Stimme wurde mit einem Mal sehr sanft. Es war die Stimme einer Frau im Krieg, die den Frieden suchte und ihn im Gegenzug anbot.
»Wie war Ihre Frau?«
Frank war überrascht über die Natürlichkeit, mit der diese Frage formuliert wurde. Und über die Leichtigkeit, mit der er antwortete.
»Ich kann nicht sagen, wie sie war. Wie jeder von uns war sie gleichzeitig zwei Personen. Ich könnte Ihnen sagen, wie ich sie ge343
sehen habe, aber das wäre jetzt völlig sinnlos.«
Frank schwieg, und für ein Stück der Strecke verschmolz mit seinem Schweigen jenes von Helena.
»Wie hieß sie?«
»Harriet.«
Helena griff diesen Namen auf wie den Namen einer alten Freundin.
»Harriet. Auch wenn ich sie nie kannte, habe ich das Gefühl, sehr viel über sie zu wissen. Vielleicht fragen Sie sich, woher diese Anmaßung kommt …«
Eine kurze Pause. Dann wieder Helenas Stimme, voller Verbitterung.
»Keiner kann eine schwache Frau so gut erkennen wie eine, die selbst schwach ist.«
Einen
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