Ich Töte
waren voller Menschen, vor allem junge Leute. Ihm fiel ein, dass Aix-en-Provence eine ziemlich renommierte Universität aus dem 15. Jahrhundert hatte und darüber hinaus Thermalbad war. Es war klar, dass man sich neben dem normalen Durchreisetourismus noch etwas mehr versprach.
Ein paarmal verfuhr er sich und kam immer wieder an denselben Verlockungen der Hotels und Restaurants unterschiedlicher Kategorien vorbei, bis er die Place du General de Gaulle erreichte, von wo der Cours Mirabeau abging.
Er fand eine Parklücke und blieb einen Moment stehen, um den großen Springbrunnen in der Mitte des Platzes zu bewundern. Ein Schild taufte ihn offiziell »Fontaine de la Rotonde«. Und genau so, wie es ihm als Kind schon immer passiert war, überkam ihn beim Geräusch des fließenden Wassers das Bedürfnis zu pinkeln.
Er lief die wenigen Meter, die ihn vom Cours Mirabeau trennten, und hielt nach dem Schild irgendeiner Bar Ausschau. Es war unglaublich, wie blitzschnell eine prall gefüllte Blase zu verstehen gab, was für eine Riesenlust man doch auf einen Kaffee hat.
Er überquerte den Korso, der zurzeit umgestaltet und neu aufge351
pflastert wurde. Ein Arbeiter im gelben Helm diskutierte mit jemandem, wahrscheinlich dem Bauleiter, über fehlendes Material und entschuldigte sich damit, dass es nicht im Bereich seiner Verantwortung gelegen, sondern mit der Wahl eines nicht näher bestimmten Ingenieur Dufour zu tun habe. Unter einer Platane musterten sich zwei Straßenkater mit aufgestelltem Schwanz, unschlüssig, ob sie Händel beginnen oder den geordneten Rückzug antreten sollten, und wie sie beide am besten ihre Würde bewahren könnten. Hulot sympathisierte mit dem dunkleren und taufte den helleren, etwas dickeren Roncaille. Er überließ die beiden ihrem Hinterhofgezanke, betrat eine Bar und bestellte beim Mann am Tresen einen Milchkaffee, bevor er auf die Toilette ging.
Als er zurückkam, stand der Kaffee schon auf der Theke. Während er Zucker hineintat, rief er den Kellner, der gerade mit zwei Mädchen in seinem Alter quatschte, die an einem Tisch vor einem Glas Weißwein saßen.
»Könnten Sie mir bitte eine Information geben?«
Wenn der Junge das Gespräch nur ungern unterbrach, so ließ er sich das nicht anmerken.
»Klar kann ich das.«
»Wissen Sie, ob es hier auf dem Cours Mirabeau einen Plattenladen namens Disque à Risque gibt oder gab?«
Der junge Mann, ein Typ mit kurz geschnittenen, hellen Haaren und einem mageren, bleichen, mit Pickeln übersäten Gesicht, grübelte einen Augenblick.
»Den Namen hab ich, glaub ich, noch nie gehört, aber ich bin erst seit kurzem in Aix. Ich geh hier auf die Uni«, fügte er schnell noch hinzu.
Offensichtlich war ihm die Information wichtig, dass er nicht für immer kellnern würde, sondern früher oder später ein ganz anderes Schicksal auf ihn wartete.
»Aber wenn Sie den Korso hochgehen, finden Sie auf dieser Straßenseite einen Zeitungskiosk. Tattoo wird Ihnen zwar ein bisschen komisch vorkommen, aber er ist seit vierzig Jahren hier, und wenn Ihnen einer Informationen geben könnte, dann er.«
Hulot dankte kopfnickend und trank seinen Kaffee. Der junge Mann betrachtete sich als entlassen und widmete sich wieder dem unterbrochenen Gespräch. Hulot bezahlte sein Getränk und ließ das Trinkgeld auf der Marmortheke liegen. Beim Verlassen der Bar sah er, dass der Hulot-Kater nicht mehr da war und der Roncaille-Kater 352
seelenruhig unter der Platane saß und umherschaute.
Er lief den Korso entlang, dessen beide Straßenseiten im Schatten der Platanenallee lagen und mit Steinplatten gepflastert waren. Vom einen bis zum anderen Ende eine ununterbrochene Reihe von Cafés, Geschäften und Buchläden.
Ungefähr hundert Meter weiter fand er neben einem Buchantiquariat Tattoos Zeitungskiosk, den der Kellner aus der Bar gemeint hatte. Auf der Straße saßen zwei Männer, mehr oder weniger in Hulots Alter, und spielten Schach an einem Tischchen, das mitsamt den Klappstühlen vor der offenen Tür des Antiquariats aufgebaut war.
Hulot ging zum Kiosk und wandte sich an die Figur, die zwischen Zeitschriften, Büchern und Comics darin hockte. Der Alte mit dem wirren Haar, den tief liegenden Augen, eher siebzig als sechzig, schien direkt einem Western von John Ford entsprungen zu sein, so eine Art Ringo.
»Guten Tag. Sind Sie Tattoo?«
»Ja, bin ich. Was kann ich für Sie tun?«
Nicolas sah, dass ihm ein paar Zähne fehlten. Sogar die Stimme passte. Er dachte,
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