Ich Töte
Schmerzenszeichen, klaffen. Ein Schweißtropfen rinnt ihm von der Stirn und brennt in seinem linken Auge.
Der Mann säubert ihm sein glänzendes Gesicht mit dem blutbefleckten Ärmel seines Hemdes. Ein einzelner roter Tupfer bleibt, zur Form eines Kommazeichens gewischt, auf seiner Stirn zurück.
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Blut und Schweiß. Blut und Schweiß, wie viele andere Male.
Und über allem der ungerührte Blick der Kameras.
Der Mann keucht unter seiner wollenen Skimütze. Er hält den Videorekorder an und lässt das Band zurückspulen. Als die Kassette wieder an den Anfang zurückgekehrt ist, drückt der Mann die Playtaste.
Auf den Bildschirmen vor Yoshidas halb geschlossenen Augen und seinem langsam ausblutenden Körper beginnt alles von vorne.
Da ist noch einmal der erste Messerstich, der wie ein glühendes Eisen in seinen Oberschenkel eingedrungen war. Und dann der zweite, mit seinem frischen Atem. Und dann die anderen …
Die Stimme des Mannes wird jetzt zu der des Schicksals, weich und gleichgültig.
»Das ist es, was ich Ihnen anbiete. Mein Vergnügen gegen Ihr Vergnügen. Bleiben Sie ganz ruhig, Monsieur Yoshida. Entspannen Sie sich, und sehen Sie sich beim Sterben zu …«
Yoshida hört die Stimme wie durch Watte an sein Ohr dringen.
Seine Augen sind fest auf den Bildschirm gerichtet. Während das Blut seinen Körper langsam verlässt, während die Kälte Stück für Stück jede Zelle ergreift, kann er nicht umhin, dieselbe krankhafte Befriedigung zu empfinden.
Als das Licht seine Augen verlässt, weiß man nicht, ob sie den Himmel oder die Hölle erblicken.
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Margherita Vizzini fuhr die Auffahrt zum Parkhaus Boulingrins auf der Place du Casino hinauf. Zu dieser frühen Morgenstunde waren nur wenige Leute unterwegs. Die Einwohner Monte Carlos, die das Nachtleben genossen, die Reichen oder die Verzweifelten, schliefen noch. Und es war noch ein bisschen zu früh für die Tagestouristen. Wer jetzt unterwegs war, befand sich wie sie auf dem Weg zur Arbeit. Sie ließ das Sonnenlicht, die Menschen, die im Café de Paris beim Frühstück saßen, die bunten, abgezirkelten Blumenbeete hinter sich und tauchte in den warmen und feuchten Halbschatten des Parkhauses ein. Sie hielt mit ihrem Fiat Stilo an der Schranke und steckte ihre Abonnementkarte in den Automaten. Die Schranke hob sich, und sie fuhr in Schrittgeschwindigkeit hinein.
Margherita kam jeden Morgen aus dem italienischen Ventimiglia herüber, wo sie wohnte. Sie arbeitete in der Wertpapierabteilung der ABC, Banque Internationale de Monaco, an der Place du Casino, direkt gegenüber von der Chanel-Boutique.
Es war ein echter Glücksfall gewesen, dass sie diesen Job in Monte Carlo gefunden hatte. Und vor allem, dass sie ihn ohne Beziehungen oder persönliche Empfehlungen bekommen hatte. Nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften, das sie mit Bestnoten abgeschlossen hatte, waren ihr, wie vielen herausragenden Studenten, ein paar Stellen angeboten worden. Unter anderem hatte sie die Einladung der ABC-Bank überrascht.
Sie war zum Vorstellungsgespräch gefahren, ohne sich große Hoffnungen zu machen, und war zu ihrer Verwunderung ausgewählt und eingestellt worden. Die Stelle bot einige Vorteile. Erstens lag das Eingangsgehalt deutlich über dem, was sie in Italien hätte aushandeln können. Und dann war da noch die Tatsache, dass es von den Steuern her etwas ganz anderes war, in Monte Carlo zu arbeiten
…
Margherita lächelte. Sie war eine zierliche junge Frau mit kurz geschnittenem, kastanienbraunem Haar über einem sympathischen Gesicht, das sich sehen lassen konnte. Ein paar versprengte Sommersprossen auf der ebenmäßigen Nase verliehen ihr den etwas spitzbübischen Ausdruck einer Elfe.
Ein Wagen fuhr rückwärts aus seinem Parkplatz heraus, und sie musste anhalten. Sie nutzte diesen Augenblick, um ihr Aussehen im Rückspiegel zu überprüfen. Was sie sah, stellte sie voll und ganz 138
zufrieden.
Heute würde Michel Lecomte in die Bank kommen, und da sollte man schon etwas hermachen.
Michel …
Der Gedanke an die zärtlichen Augen dieses Mannes löste ein warmes Gefühl in ihrem Magen aus. Das, was die Engländer
»Schmetterlinge im Bauch« nannten. Seit einiger Zeit hatte sich zwischen ihnen ein äußerst delikater Flirt entwickelt. Sehr ergreifend, weil sehr zart. Jetzt war der geeignete Zeitpunkt gekommen, etwas aufs Gaspedal zu treten.
Der Weg war frei. Sie fuhr auf die Rampe und begann die lange Abfahrt in die Tiefen des
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