Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
meiner ersten Reise nach Griechenland, erinnern kann ich mich daran allerdings kaum – glücklicherweise, denn sie muss für mich eine Art Horrortrip gewesen sein, und das, obwohl wir dieses Mal nicht mit dem Wagen, sondern mit der Lufthansa anreisten: Mama hatte irgendwelchen dringenden Behördenkram in Athen zu erledigen, Papa hatte zu Hause zu tun, mein Bruder war noch nicht geboren. Kurz vor der Fahrt zum Flughafen blieb ich einen Moment lang unbeaufsichtigt im Zimmer, ich nutzte ihn, um mir den Kopf ausgiebig mit Penatencreme einzuschmieren. Worauf Mama, die die weiße Schmiere nicht herunterbekam, mir kurzerhand die Locken abschnitt. Vor Empörung brüllte ich den MünchnerFlughafen zusammen, das Reiseziel erreichte ich dann fast ein wenig traumatisiert von dem Kahlschlag auf meinem Kopf. Die Verwandtschaft, die von mir nur Fotos mit süßen Locken kannte, lernte mich mit fettverklebtem Kurzhaarschnitt kennen.
Im Haus von Yiayia und Pappous wurde ich dann ständig von allen laut ausgeschimpft, außerdem stritt jeder mit jedem – alle schrien sich ständig gegenseitig an. So zumindest deutete ich die Geräuschkulisse, denn ich war an wesentlich leisere Gespräche, wie sie in Deutschland geführt wurden, gewöhnt. Wenn dann auch noch Onkel Giorgos mit der dröhnenden Stimme auftauchte, fing ich an, selbst gellend zu schreien, vor Schreck. Außerdem wollten alle mich drücken und schmatzend abküssen, ich aber befand mich in meiner Fremdelphase und hielt gern Abstand. Die lärmenden Verwandten machten mir eine derartige Angst, dass ich Mama nicht von der Seite wich und sie bis ins Badezimmer verfolgte. All das weiß ich aber nur aus Erzählungen – ich war erst knapp eineinhalb Jahre alt.
Ich selbst erinnere mich nur an ein Ereignis, es ist meine früheste Kindheitserinnerung: Eines Abends saß ich, wie immer, bei Mama in der Halle, und am anderen Ende des Raumes saß Tante Matina mit ihrem neugeborenen Baby.
»Komm, Stelitza , komm und schau dir die beba an«, lockte sie, und schließlich stand ich tatsächlich auf, durchmaß den langen Raum und baute mich vor der beba auf, die einmal meine Cousine Anna werden sollte (auch das war damals für mich nicht zu ahnen, denn griechische Säuglinge werden erst nach der Taufe mit ihrem Namen angesprochen – davor nennt man sie die beba , oder, wenn es Jungen sind, den bebis ). Friedlich schlafend lag die Kleine in den Armen der Tante. Ich verliebte mich richtig in sie und durfte ihr das Köpfchen streicheln. Sie wirkte wie ein kleiner Engel.
Dass Annas Naturell das glatte Gegenteil von diesem ersten Eindruck war, dokumentiert unser erstes gemeinsames Foto: Wir sitzen auf einer Spieldecke in Annas Zimmer, und auf den ersten Blick sieht es so aus, als würden wir uns umarmen. Bei genauerem Hinsehen wird deutlich, dass Anna mich gerade mit ihren speckigen Händchen würgen will, und dass ich sie mir mit ausgestreckten Armen vom Leib zu halten versuche.
Später dachte sie sich ein Spiel aus, das sie bei sich höchstwahrscheinlich »Cousine tyrannisieren« nannte: » Ela, lass uns Puppen spielen, du kannst Katherina nehmen«, sagte Anna. Katherina war ihre schönste Puppe, die mit den langen, goldenen Locken. Wenn ich aber nach Katherina greifen wollte, riss sie sie im letzten Moment ganz schnell weg und lachte sich kaputt. Spätestens nach dem dritten Mal fiel ich nicht mehr darauf herein und weigerte mich mitzuspielen. »War doch nur Spaß«, sagte Anna dann. »Nächstes Mal nehme ich die Puppe nicht. Ich schwöre!«
Schließlich fasste ich wieder Vertrauen und näherte mich der Puppe, doch kurz bevor ich sie fassen konnte, riss Anna sie erneut an sich und wollte sich ausschütten vor Lachen. Meiner eigenen Puppe schmierte sie mit Filzstift den Bauch rot, sie zerknüllte die Bilder, die ich gemalt hatte, und zog mich an den Haaren.
Ich war als Kleinkind brav und recht vernünftig, darum verzieh ich ihr immer wieder, denn Anna war ja jünger als ich. Nur so ist es zu erklären, dass wir, als Annas Temperament im Laufe der Zeit etwas abkühlte, zusammenwuchsen.
Weil wir ein ganzes Jahr getrennt waren, steckten wir im Sommer oft ohne Unterbrechung zusammen – wir hatten Nachholbedarf. Mama packte mir eine große Tasche, und ich zog tagelang zu Anna. In ihrem Kinderzimmer hatte sie ihren eigenen, knallroten Plattenspieler, der bei meinen Besuchenauf Dauerrotation lief: Wir hörten Bouzoukia, das Lied von den kleinen Krebsen, die von ihrer amüsiersüchtigen
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