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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Bettermann
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urplötzlich Onkel Michalis sein Herrenhandtäschchen dazu auf den Tisch und setzte sich gut gelaunt neben uns: »Darf ich die thespinides , Fräulein, zu einem Eis einladen?«
    » Tu «, machte Anna beleidigt und sprach den ganzen Tag nicht mehr mit ihm. Onkel Michalis, der seine Praxis in der Nähe hatte, war uns nämlich heimlich gefolgt und hatte uns beobachtet, um sicherzugehen, dass wir uns auch nicht verliefen.
    Immerhin berichtete er daraufhin, dass wir uns absolut selbstständig und sicher in der Stadt bewegten, deshalb durften wir von nun an häufiger allein los. Sogar abends:
    Am Pasalimani hatte die erste Pizzeria von ganz Piräus eröffnet, folglich war diese zu jener Zeit ein Ort, den man aufsuchen musste – heute hätte man das Lokal einen »In-Italiener« genannt. Onkel Michalis reservierte uns zwei Plätze, und nach dem Essen, so war es vereinbart, sollten wir uns ein Taxi nehmen und zu Anna nach Hause fahren. Wir fühlten uns extrem erwachsen.
    In Griechenland sind Kinder zwar den ganzen Abend über auf den Beinen (weil sie ja mittags schlafen müssen), doch kommt es kaum vor, dass Acht- und Neunjährige alleine ein Restaurant besuchen. Der Kellner allerdings fand unseren Ausflug wohl witzig und hofierte uns, als wären wir junge Damen. Nach dem Essen setzte er sich zu uns an den Tisch und machte Konversation. »Ihr seid sicher beste Freundinnen. Kennt ihr euch aus der Schule?«, fragte er.
    »Nein, wir sind Cousinen. Ersten Grades.«
    »Komisch, ihr seht euch gar nicht ähnlich. Nicht das kleinste bisschen.«
    Er hatte Recht; bis auf die Tatsache, dass wir beide Locken auf dem Kopf trugen – meine etwas heller als Annas –, gabes keine Familienähnlichkeit: Anna hatte empfindliche, weiße Haut, die sich in der Sonne rosa verfärbte – ich hatte einen bräunlichen Teint und bekam nie einen Sonnenbrand. Sie war ein wenig rundlich – ich spindeldürr. Anna war gut in der Schule, ich grottenschlecht. Anna liebte Mathe, ich mochte als einziges Fach in der Schule den Deutschunterricht.
    Wir wuchsen auch vollkommen unterschiedlich auf: Ich besuchte den Ballettunterricht und das Kunstturnen, erkletterte jeden Baum in der Umgebung und übte den ganzen Tag Handstand Überschlag auf der Rasenfläche vor unserem Haus. Wir lebten in München am Stadtrand und verbrachten viel Zeit in den angrenzenden Kiesgruben und auf den Schafswiesen, fischten Kaulquappen aus Pfützen, machten Lagerfeuer und bauten Baumhäuser. Meine Knie waren die ganze Kindheit hindurch blutverkrustet, von den vielen Fahrradstürzen.
    Anna besaß, soweit ich mich erinnern kann, gar kein Rad. Radfahren wäre im Verkehr von Piräus ohnehin lebensgefährlich gewesen. Sie trieb auch keinen Sport und kletterte nie auf Bäume. Ihre Knie wiesen keinerlei Kratzer auf – als griechisches Kind durfte sie ja nie rennen. Sie bastelte und malte viel und liebte es, für die Schule zu lernen. Trotz der Unterschiede waren wir unzertrennlich. »Die beiden sind wie vraka ke kolos , wie Hose und Hintern«, meinte Yiayia immer – so sagt man in Griechenland, wenn zwei zusammengehören.
    Eine Gemeinsamkeit hatten wir aber doch: den unbedingten Drang, nur dem eigenen Kopf zu folgen. Aus Elternsicht könnte man sagen, wir übten einen schlechten Einfluss aufeinander aus – sie auf mich und ich auf sie.
    Es war der (auch in München außergewöhnlich heiße) Sommer 1976, der kurz vor meinem dreizehnten Geburtstag offensichtlich einen verfrühten Hormonschub bei mir auslöste.
    Als ich in jenem Sommer Yiayias Haus betrat, in meiner seit Wochen typischen Montur (hellblauer Lidschatten,knallrote Fingernägel, zum Knie hochgekrempelte Levis Jeans, die den Blick auf rote Bastplateauschuhe freigaben), erstarrte die Verwandtschaft. Pappous brachte den Mund nicht mehr zu, Tante Meri, die der Yiayia gerade Limonade servieren half, wäre das Tablett fast aus den Händen geglitten.
    »Oooch, ti pathame, auch das noch!«, seufzte Tante Matina, die sofort überblickte, welche Wirkung mein Hormonschub auf ihre Tochter haben würde.
    Anna sagte wieder nur » ela , komm«, diesmal aber zog sie mich besonders schnell in die avli , um mit mir die Ereignisse des vergangenen Jahres durchzuhecheln: Wie ich beschlossen hatte, meine braven Zöpfe zu lösen. Wie ich Mama wochenlang bearbeitet hatte, mir die hohen Bastschuhe zu kaufen. Wie ich mich so lange in der Nähe der Tischtennisplatten nahe unseres Spielplatzes herumtrieb, wo die Jugendlichen mit ihren Mopeds und

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