Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
im Umkreis von hundert Kilometern abgeklappert – es gab viele, und ständig kamen neue hinzu: »Jeder Quadratmeter hier ist voll mit Kunstschätzen, man muss nur danach graben«, schwärmte der Onkel immer (wie Recht er hatte, zeigte sich dann beispielsweise 2004, als allein bei den Bauarbeiten an der U-Bahn der Inhalt für ein ganzes Museum zutage gefördert wurde). Besonders mochten wir die Amphitheater, wie etwa das Herodion in Athen, wo wir die Akustik mit lauten »Hallloooo«-Rufen testeten.
Wir begleiteten Onkel Michalis gern – er nahm uns wenigstens ernst. Stundenlang konnte er sich darüber auslassen, wie genial die alten Griechen gewesen waren. »Undwarum waren sie schon so fortgeschritten?«, fragte er uns ab.
»Wegen der guten klimatischen Voraussetzungen!«, antwortete Anna stolz – sie war Streberin und Klassenbeste und liebte es, mit ihrem Wissen zu glänzen.
»Genau. Die alten Griechen mussten sich nicht mit Dürreperioden, Hochwasser oder Hungersnöten plagen. Deswegen konnten sie ihre Energie ganz auf Wissenschaft, Kunst und Philosophie konzentrieren.« Dann fuhr seine Hand ehrfürchtig über ein Marmorrelief oder den Sockelschwung einer Säule. »Herrlich, was die menschliche Intelligenz zustande bringt!«
Die griechische Hochkultur allerdings sei Ausdruck eines freien Geistes gewesen, Unterdrückung schaffe keinerlei Entwicklung, dozierte Michalis. »Daraus können auch wir lernen. Der Mensch muss sich frei entfalten können. Jeder weiß selbst, was für ihn das Beste ist. Nehmt mich: Eure Yiayia und der Pappous waren liebevolle Eltern, die das Beste für mich wollten. Und sie dachten, das Beste für mich wäre, wenn ich einmal das Geschäft von Pappous übernehmen würde. Ich aber war da ganz anderer Meinung. Ab einem bestimmten Alter darf man nicht auf seine Eltern hören, sondern nur auf sich selbst! Jeder muss seine eigenen Entscheidungen fällen, merkt euch das, Kinder.« Wir hingen an seinen Lippen, und es ist nur erstaunlich, dass der Onkel – viele Jahre später – gar nicht verstehen konnte, warum Anna nicht seine oder Tante Matinas Praxis übernehmen wollte, sondern Maschinenbau studierte. Aber sie folgte eben ihrem eigenen Kopf, und der interessierte sich für Flugzeuge, nicht für Zähne oder Laborbefunde.
In jedem Fall stachelten uns Michalis’ Vorträge nur weiter zum Widerstand gegen die Elternmacht an, und so gründeten wir schließlich, als wir etwa acht und neun Jahre alt waren, eine Liga gegen die Erwachsenen, deren einzige Mitglieder wir beide waren. Wir hockten in Yiayias avli und erzählten uns vonunseren Erfolgen bei der Durchsetzung eigner Ziele, die darin bestanden, Elternanweisungen zu umgehen.
»Seit letzter Woche weigere ich mich Mittagsschlaf zu machen«, prahlte etwa Anna. »Und wenn sie sich alle auf den Kopf stellen.«
»Ich verstehe sowieso nicht, warum du das so lange mit dir hast machen lassen – ich habe noch nie mittags geschlafen. Und ich ziehe auch keinen Hut mehr auf in der Sonne.«
»Das mit den Hüten ist sowieso lächerlich. Als ob unsere Eltern jemals Hüte aufziehen würden! Den braucht nur Pappous, wegen der Glatze. Und Babys.«
»Und wir lassen uns nicht mehr wie Babys behandeln.«
»Akrivos!«
Deshalb wollten wir jetzt in die Stadt fahren – allein!
In der Nachbarschaft der Monemwassias waren wir schon lange allein unterwegs – wir kauften Süßigkeiten bei Evga , schauten bei einem pantopolio , Krämerladen, vorbei, wo es Lippenbalsam gab und bunte Garne für unsere Kreuzstickbilder, denen wir uns in jener Zeit widmeten. Wir gingen zur Kirche und zündeten Kerzen an oder besuchten die pediki chara . Alles ohne Hut auf dem Kopf. Jetzt wollten wir aber in die Innenstadt und die Kleiderläden abklappern – wir nervten die Erwachsenen so lange, bis sie es erlaubten.
Wir verabredeten uns telefonisch am Dimotiko Theatro , dem Volkstheater in Piräus, und mir klopfte das Herz wie rasend auf dem Weg vom Busbahnhof am Hafen den Weg hinauf, denn wirklich gut kannte ich mich nicht aus – ich war nicht einmal sicher, ob dies die richtige Straße war. Aber dann sah ich Anna schon von weitem im Schatten der Säulenhalle stehen und beruhigte mich.
Wir taten dann so, als wären wir es gewohnt, tagtäglich wie die Erwachsenen durch die Stadt zu bummeln, und probierten Sommerkleider in einem Geschäft oberhalb des Theatersan. Dann bestellten wir uns eine Cola in einem zacharoplastio auf der Platia Korai. Als die gebracht wurde, warf
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