Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
Popen, denen er nicht über den Weg traute. Er war nämlich zu spät getauft worden und hatte seine Taufe sozusagen bei vollem Bewusstsein erlebt. Sie wurde ihm unvergesslich.
Er war zu diesem Zeitpunkt schon fast zwei Jahre alt, denn seine Taufpatin lebte – im Gegensatz zu meiner, die Exilgriechin war wie Mama – in Athen, welches wir ja meist nur im Sommer besuchten. Als es dann endlich zu der Zeremonie kam, müssen schon die unablässigen Kyrie-Eleison-Arien der Priester meinen Bruder einigermaßen erschreckt haben; dann aber wurde er auch noch vor allen Kirchengästen vollständig entkleidet. Das reichte schon, um ihn zum Brüllen zu bringen.
Das Schlimmste kam aber erst: Ein papas mit einem langen grauen Bart packte ihn um den Bauch (übrigens ohne bei den Gesängen zu pausieren), trug ihn zum Taufbecken und tauchte ihn vollständig unter Wasser. Dreimal.
Meinem Bruder traten vor Empörung fast die Augen aus dem Kopf. Noch Jahre später fing er an, panisch zu wimmern, wenn ihm Popen in ihren schwarzen Gewändern auf derStraße begegneten – er fürchtete, sie könnten ihn holen, um ihn wieder unterzutunken.
Was Mama immer ein wenig schmerzte, war, dass wir nie Ostern in Griechenland feierten – sie vermisste es nicht aus religiösen Gründen, sondern wegen des Brimboriums. Ostern ist dort wichtiger als Weihnachten, doch da es nach dem Julianischen Kalender anberaumt wird und nicht nach dem Gregorianischen, findet es nur alle paar Jahre zum selben Zeitpunkt wie das deutsche Ostern statt. Als ich vierzehn oder fünfzehn Jahre alt war, fielen die Termine einmal zusammen, und Mama buchte uns einen Flug.
Am Flughafen in Athen erwarteten uns zweiundzwanzig Grad im Schatten und meine beide Tanten in Nerzmänteln. Mein Bruder und ich waren einigermaßen baff – uns war nicht klar gewesen, dass Pelze in Athen, wo die Temperaturen selten unter zehn Grad sinken, überhaupt gebräuchlich waren. Bei der Fahrt durch die Stadt zeigte sich, dass es sich bei den Pelzen nicht etwa nur um eine Marotte meiner Tanten handelte: Damen in Nerzmänteln, Persianern oder Fuchsjacken tauchten überall im Straßenbild auf, wer keinen Pelz spazieren führte, hüllte sich in einen Wintermantel oder eine Daunenjacke.
Im Fond des Wagens von Onkel Giorgos war es heiß, die Fenster waren wegen der Zugluft verschlossen, wir schwitzten und schüttelten die Köpfe über die winterlich gekleideten Griechen: »Wetten, sie lassen uns keine Sekunde im T-Shirt rumlaufen«, stöhnte mein Bruder.
»Garantiert nicht!«, bestätigte ich.
Im Haus von Yiayia erlebten wir dann zwei weitere Überraschungen: Die erste war, dass überall Kelims und dicke Perserteppiche auslagen. »Wo kommen die denn her?«, fragte mein Bruder die Yiayia, die lächeln musste: »Die liegen doch jeden Winter hier, das wisst ihr nur noch nicht.« Wir erfuhren, dassjedes Haus über sein eigenes Teppichsortiment verfügt, das im Sommer in speziellen Kühlhäusern gelagert wird, damit sich nicht die Motten über die guten Teppiche hermachen. Im Herbst aber heißt es dann: » Ta strosame , wir haben sie ausgebreitet.« Der Vorgang ist geradezu sprichwörtlich: » Ta strosame « bedeutet nämlich auch »Wir haben es uns gemütlich gemacht«. Wir deutschen Kinder kannten den Ausdruck sehr wohl. Von seinem Ursprung aber – dass in Griechenland tatsächlich regelmäßig etwas »ausgebreitet« wird – hatten wir keine Ahnung gehabt.
Die zweite Überraschung war das Essen – beziehungsweise das Fehlen von Essen: Es gab keine Fleischspießchen, keine Prisoles , keine Keftedes , keinen Feta-Käse, kein Huhn. Der Tisch im Eingangsraum war – bis auf Tischtuch und Teller – leer, als wir uns mit der Familie zum Essen niederließen. (»Wie in Deutschland«, sagte mein Bruder.) Dann kam Yiayia und brachte nur eine einzige Schüssel: Linsensuppe.
Es war nämlich Fastenzeit, nistia . Die wurde in unserer griechischen Familie eingehalten. Nicht wegen der Kirche – wegen der Figur.
»Giorgos hat schon drei Kilo verloren. Und ich zwei«, erzählte Tante Meri stolz. Giorgos allerdings betrachtete die Suppe in seinem Teller missmutig und brummte. »Das Fastenessen hängt mir schon zum Hals raus.«
» Ooooch! Wem sagst du das!«, bestätigte Pappous, der fleischlose Kost nicht ausstehen konnte.
»Jetzt ein schönes Souvlaki , dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft – das wäre was, nicht wahr, Maria!«, sagte Giorgos zu Mama. »Neben meiner Firma gibt es ein souvlatzidiko ,
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