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Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich

Titel: Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stella Bettermann
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Diät), während die anderen sich die Leckereien einverleibten, die die Tanten in der kleinen Küche des Sommerhäuschens zubereiteten, die gebratenen Zucchini und Auberginen und Keftedes und so weiter. Dazu gab es Retsina und für uns Jüngere Cola, und dazu Bouzoukia aus Stelios’ Kassettenrekorder. Dann schauten Freunde von Meri und Giorgos vorbei, die ebenfalls ein Sommerhäuschen in der Nähe besaßen, und es war ein großes kefi bis in die Nacht, die lau war und warm wie in Deutschland nur im Sommer.
    Schließlich nahte unsere Abreise, doch wussten wir nicht, was wir mit Patachon anfangen sollten – wir konnten ihn schließlich schlecht mit in den Flieger nehmen und in unserer Etagenwohnung in München hausen lassen, und der Yiayia wollten wir ihn auch nicht auf Dauer zumuten.
    Patachon war kräftig geworden, unter seinem gelben Flaum hatten sich sogar schon echte Federn gebildet. Also fragten wir Anna und ihren kleinen Bruder Alexis, ob sie ihn nicht doch weiter aufpäppeln könnten. Anna begutachtete Patachon zunächst, dann nickte sie: »Der schafft es«, sagte sie und nahm ihn mit.
    So zog unser Patachon in die schicke Wohnung in Castella, und er war sicherlich das erste – und einzige – Federvieh, das seine Runden auf der marmorgekachelten Hundert-Quadratmeter-Terrasse mit Meerblick drehte. Zumindest eine Zeitlang.
    Erst in den Sommerferien erfuhren wir, was Patachon widerfahren war: Es war noch einmal ungewöhnlich kalt geworden im griechischen Frühjahr nach Ostern, das Thermometer sank unter zwanzig Grad, die Tanten zogen die Nerze noch einmal hervor, die Heizungen wurden wieder bis zum Anschlag aufgedreht, als der kleine Alexis Mitleid mit dem frierenden Hähnchen auf der Marmorterrasse entwickelte. Darum stellte er den Ofen in der Küche an und steckte Patachon hinein. Nur kurz, zum Aufwärmen. Der Ofen in der neuen Wohnung aber war hochmodern und wurde schneller heiß, als der kleine Alexis ahnte. Das war das Ende von Patachon, dem stärksten aller Osterküken, und nie wieder wollte Alexis – oder sonst jemand aus unserer Familie – ein Küken zum Haustier haben.

Mama in den Alpen
    M eine Mutter hatte eine wunderschöne, bestens ausgebildete Singstimme. Eine Stimme, die bei Zuhörern Rührungstränen und Gänsehaut und Euphorie auslöste. Es ist ein echter Jammer, dass nur so wenige Menschen die Stimme meiner Mutter hörten, denn auf einer großen Bühne sang sie nie. Sie besaß einen Mezzosopran, beherrschte aber auch tiefe und ganz hohe Töne, deshalb gehörten auch anspruchsvolle alte Opern zu ihrem Repertoire. Außerdem besaß sie zwei Kinder und einen Ehemann. Das war wahrscheinlich das Problem: Mütter wurden damals nicht so leicht Opernstars (vielleicht ist das heute nicht anders).
    Ihrer Gesangsausbildung hatte Mama ihr ganzes bisheriges Leben gewidmet. Ich war noch zu jung, um zu verstehen, wie hart es für sie gewesen sein mag, ihren Lebenstraum ad acta zu legen. Manchmal verzog sie sich an Sonntagnachmittagen noch in ihr Zimmer und hörte Opernplatten, und wenn ich mich zu ihr setzte, spielte sie mir die schönsten Passagen vor und sang mit. Auf mich machte sie immer den Eindruck, als habe sie vor, in ein paar Jahren mit dem Singen weiterzumachen. Doch das ergab sich nie.
    Als Mama beschloss, keine Opernsängerin mehr zu sein, wurde sie noch deutscher. Sie wurde zur (fast) ganz normalen deutschen Mama: Sie nahm einen Halbtagsjob als Glasschadenssachbearbeiterin bei einem Versicherungskonzern an. Und sie meldete sich in einer Fahrschule an.
    Deutschland befand sich damals noch im großen wirtschaftlichen Aufschwung, es war die Zeit, zu der sich Familien zum Erstwagen (dem großen, den der Ehemann fuhr) einen kleinen Zweitwagen für die Ehefrau leisteten. Als Mama in den Theoriestunden saß, war der Raum voll mit Frauen ihres Alters, die auch jetzt den Führerschein machten.
    Meine Mutter konnte noch nicht einmal Fahrrad fahren; im Griechenland ihrer Jugend schickte sich das Radfahren für Mädchen aus gutem Hause nicht. Sie war nur einmal, als Halbwüchsige, auf ein geliehenes Rad gestiegen, damit eine Anhöhe hinuntergerast und in einen Graben gestürzt. Dass man nach rechts lenken muss, wenn ein Gefährt diese Richtung einschlagen soll, war ihr lediglich theoretisch klar – für sie war das kein Automatismus. Der Fahrlehrer muss schier an ihr verzweifelt sein, und es ist ein Wunder, dass sie den Führerschein überhaupt schaffte, beim dritten Anlauf. (Wenn wir Kinder später in

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