Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
nervte er meine Eltern jahrelang. Als er fünfzehn war, gaben sie ihre Gegenwehr auf und ließen ihn ziehen – (fast) ganz allein.
In jenem Jahr – ich war siebzehn – plante ich einen Griechenlandurlaub mit meinem Freund, und Mama fand, wir könnten »den Kleinen« doch einfach mitnehmen, dann könnte er sich von unserem Urlaubsort aus regelmäßig an einsame Strände begeben. Hauptsache, er ließe sich alle paar Tage mal bei uns blicken. Andernfalls, so wurde ich von ihr instruiert, hätte ich ein Suchkommando zusammenzustellen. Auf diese Art und Weise war ihr etwas wohler bei der Sache.
Wir »Kinder« waren selbstredend von der Idee nicht so begeistert, doch Mama ließ keine Widerrede zu. »Ich schaue aber wirklich nur bei euch vorbei, um meine Wasservorräte aufzustocken«, sagte mein Bruder. »Ich brauche Ruhe.« Das klang, als wäre er ein viel beschäftigter Manager und nicht einfachnur ein Neuntklässler, doch mein Spott prallte völlig an ihm ab: Er nahm die Sache sehr ernst.
Auch mein Freund und ich planten keinen Hotelurlaub (dafür hätte unser Budget nicht gereicht), sondern hatten ebenfalls Schlafsäcke dabei. Im Gepäck hatten wir drei außerdem ein gefährlich wirkendes, riesiges psarotoufeko – eine Harpune. Wem die gehörte, ist klar.
Wir stiegen in Piräus in eines der alten, rostigen Fährschiffe, die doppelt so lange brauchten wie die »Flying Dolphins« (aber viel preiswerter waren), und an Bord genehmigten mein Bruder und ich uns sofort je eine Dose Amstel-Bier und pafften eine Karelia-Zigarette, weil wir fanden, dass das einfach zu so einer Schiffsfahrt dazugehörte (und wir hatten ja beide Yiayias Unempfindlichkeit gegen Wellengang und Geschaukel geerbt). Eigentlich fand ich es plötzlich ganz in Ordnung, dass mein Bruder dabei war: Wir waren bester Laune und kamen uns sehr erwachsen vor – sogar mein Bruder kam mir erwachsen vor, mit seiner Sonnenbrille auf der Nase und dem verwegenen, bunt bedruckten Schal um den Hals. Der Fahrtwind, der unsere Haare zerwühlte, duftete nach unserem süßlichen Zigarettentabak und dem der griechischen Mitreisenden, nach Abgasen aus dem Schiffsschornstein, nach Hafenwasser, Meer und Freiheit – wir waren noch nicht oft allein unterwegs gewesen, es war das erste Mal, dass wir uns ohne elterliche Begleitung auf so ein Fährschiff setzten. Alles war ein Riesenabenteuer, und weil die Zigaretten im Fahrtwind so schnell herunterbrannten, zündeten wir uns an den Stummeln sofort die nächsten an; da waren wir noch nicht einmal ganz aus dem Hafen heraus. Und auch damals noch verfärbte sich das Wasser unter dem Schiff blau, gelb, petrolfarben, karminrot auf der Höhe der Monemwassias, wo Yiayia und Pappous in ihrem Haus waren und keine Ahnung von meinem zweiten männlichen Begleiter hatten – meinem Freund: Mama hatteihnen erzählt, ich wäre mit einer Gruppe von Freundinnen unterwegs.
In Griechenland war es nämlich noch absolut unüblich, eine Siebzehnjährige mit ihrem Freund verreisen zu lassen. Es war sogar unüblich, in diesem Alter überhaupt schon einen Freund zu haben. Natürlich hatten auch alle griechischen Mädchen, die ich kannte, bereits Beziehungen. Es handelte sich dabei aber um heimliche Freunde – die griechischen Mädchen taten immer so, als würden sie sich nur mit Freundinnen treffen. Die griechischen Eltern taten so, als würden sie das tatsächlich glauben. So gab es keine Probleme.
Die Großeltern jedenfalls waren nun schon viel zu alt, um noch mit deutscher Unmoral konfrontiert zu werden, fand Mama, deshalb durfte mein Freund sich nicht bei ihnen im Haus blicken lassen. Er hatte ein paar Nächte in Piräus in einer Jugendherberge verbracht und sein Bett mit unzähligen Schnaken geteilt. Deshalb wirkte er nun etwas derangiert und war nicht ganz so gut drauf wie mein Bruder und ich. Zugleich war er leicht alarmiert: Er war Nichtraucher und Antialkoholiker, und außerdem hatte Mama ihn, der zwei Jahre älter war als ich, instruiert, ein Auge auf ihre Kinder zu haben. Was – das wurde ihm gerade klar – eventuell nicht ganz einfach sein würde.
Es wurde dann doch alles harmloser, als er vielleicht bei der Anfahrt befürchtet hatte, denn unser Reiseziel – der wenig belebte Strand auf der anderen Seite des Dorfes der Insel Spetses – bot kaum Möglichkeit für Ausschweifungen. Denn hier gab es so gut wie nichts: nur glasklares Meerwasser, das von einem kleinen Strand mit pastellfarbenen, vor Sauberkeit leuchtenden Kieseln
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