Ich trink Ouzo was trinkst du so - Meine griechische Familie und ich
Hände, und dann hängen sie sie auf und benützen sie mehrere Tage hintereinander«, raunte Mama verschwörerisch, und Tante Matina schlug mit der flachen Hand auf den Tisch und warf lachend den Kopf nach hinten. »Wie unhygienisch! Das hätte ich nie gedacht!«, brüllte sie dann.
»Ihre Kinder waschen sie ohne Seife, weil sie denken, Seife schade der Haut«, fuhr Mama fort, da wirkte Matina, als würde sie gleich von der Bank kippen vor Lachen. »Und viele Leute baden nicht mal ihre Babys täglich – sondern nur einMal pro Woche!«, posaunte Mama heraus, und alle drei hielten sich die Bäuche vor Lachen und wischten sich die Tränen von den Wangen: »Die sauberen Deutschen – man glaubt es kaum!«
Nach Onkel Michalis war seine Tochter der größte Deutschlandfan unter den Verwandten. Am meisten mochte Anna das Deutsche Museum in München, in dem sie ganze Tage verbrachte und sich mit dem für sie typischen Klassenbestenehrgeiz (»streberhaft«, sagten mein Bruder und ich) akribisch durch alle Abteilungen arbeitete. Anna liebte zudem den deutschen Regen. Kurz vor der Reise nach Deutschland, die meist mit dem Wagen stattfand (Onkel Michalis hatte kein Vertrauen in Flugzeuge), rief Anna immer an und erkundigte sich nach dem Wetter. Wenn ich von einem hartnäckigen Tief mit Schauern berichtete, steigerte das ihre Vorfreude. »Blauer Himmel ist doch langweilig«, sagte meine Cousine, Wolken und Regen dagegen fand sie gemütlich und schön. Selbstredend war sie ein großer Winterfan, die ungewohnte Kälte in Deutschland schien ihr nichts auszumachen, und wenn dicke weiße Flocken vom grauen Himmel tanzten, wurde sie von Euphorie ergriffen. Der Schnee begeisterte sie so, dass sie ihn sogar aß – aber das mag auch am Durst gelegen haben.
Als Teenager besuchten wir einmal gemeinsam das Eislaufstadion, Anna trug eine dicke Pelzmütze, die ihren Kopf doppelt so groß wirken ließ. Sie stolperte verbissen über das Eis und klammerte sich an mir fest – rutschend und kreischend, aber ohne einen einzigen Sturz. Schließlich zog sie ihre kleine Kamera aus ihrem Anorak, und ich musste einen halben Film verknipsen, um das Ereignis »Anna auf Schlittschuhen« festzuhalten, denn natürlich wollte sie zu Hause prahlen. Eines der Bilder bekam ich später geschickt, es klebt heute noch in einem Familienalbum: Annas Füße in den ausgeleiertenLeihschlittschuhen sind darauf so weit nach innen geknickt, dass es schmerzhaft gewesen sein muss. Doch ihr war kein Wort der Klage über die Lippen gekommen.
Natürlich fuhren wir auch mit ihr in die Berge – sie wollte lernen, Schi zu fahren. Papa besorgte ihr ein paar Leihschi, dann aber begaben sich die Erwachsenen in eine Hütte zum Kaiserschmarrn-Essen und überließen Anna ihrem Schicksal – damals war es in Deutschland noch ganz normal, Kinder und Jugendliche weitgehend sich selbst zu überlassen, und die Griechen, die von jeher überbehütend waren, konnten die Risiken des Schilaufens wohl nicht richtig einschätzen.
Ich half Anna, die Bretter anzulegen, dann wollte ich sie eigentlich ein wenig instruieren und sie vorsichtig den kleinen Hügel hinunterlotsen. Doch dazu kam es nicht. Als ich mich bückte, um Annas Schistöcke für sie aufzuheben, war sie verschwunden. Nach einigen irritierten Momenten entdeckte ich sie in einem Schneehaufen am Rand der Piste, in den sie gerast war, denn die Schi hatten sich mit ihr selbstständig gemacht.
Es dauerte einige Zeit, bis ich sie wieder ausgebuddelt hatte.
Annas Gesicht war mit Schnee eingeseift, und ihre Beine waren so miteinander verknotet, dass ich zuerst dachte, sie hätte sich etwas gebrochen. Sie dachte das ebenfalls.
Es war das erste – und einzige – Mal, dass ich meine Cousine weinen sah, und als sie sich wieder beruhigt hatte, packte sie die Schi und stapfte damit frustriert den Übungshang nach unten in die Leihstation. Bevor sie die Schi zurückgab, machten wir aber noch ein paar Fotos von Anna mit den Brettern an den Füßen – allerdings auf flachem Boden.
Anna lernte sogar Deutsch in einem frondistirio in Piräus, und als ich sie meinen deutschen Freundinnen vorstellte, sorgte sie unfreiwillig für Heiterkeit, denn sie schüttelte jeder die Hand und fragte höflich: »Wie gäht es Innen?« Von der Deutschlehrerin in Piräus hatte sie ja gelernt, dass dieDeutschen sich die Hand geben, statt sich zu umarmen, und dass sie sich alle siezen.
Über die Jahre waren dann alle griechischen Verwandten mindestens ein Mal
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