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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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erweitert. Als Kind nannte ich es Großes Buch, Kleines Buch und erzählte niemandem davon. Ich holte mich immer rechtzeitig ein, wollte aber gern wissen, wohin ich verschwinden würde, wenn ich das einmal nicht tat. Manchmal arbeiteten Evelyn und ich mit Karen zusammen, die sagte, sie habe seherische Fähigkeiten, und statt ein Buch mit Pfefferminzbonbons sei sie ein Fernsehgerät gewesen, das groß und wieder klein werden konnte. Evelyn sagte, unsere Macht würde noch gesteigert, wenn wir zusammen seien, knisternd wie Regen auf Stromdrähten, elektrifiziert.
    Als ich neunzehn war, nachdem ich meinen Sohn weggegeben hatte, flogen die Monate vorbei. Ein neues Jahr sollte beginnen, und ich ging zu einer Party bei Sophie, tanzte in hochhackigen Schuhen, fiel ein paar schmale Stufen hinunter und brach mir den Knochen mitten im Fuß. Ein Mann mit Silberhaaren trug mich zu seinem Auto, fuhr mich nach Hause und trug mich in seinen Armen hinein, zu dem Lehnsessel, zu meinen sehr unglücklichen Eltern. Ich lag auf dem Lehnsessel. Mein Vater brachte mir eine Kühlpackung und eine Decke; meine Mutter war zu wütend, um sich um mich zu kümmern. »Morgen fahren wir zur Notaufnahme«, sagte er. Müde ging er wieder ins Bett. Jede Stunde stand er auf und tat frisches Eis in die Kühlpackung. Am nächsten Tag überwies mich der Arzt ins Krankenhaus und setzte für den Tag darauf eine Operation an. Er wollte meinen Fuß mit zwei Nägeln richten.
    Damals fingen die seltsamen Gefühle an.
    Um vier Uhr morgens kam eine Krankenschwester und bereitete meinen Fuß für die Operation vor, strich knallorangerote Desinfektionslösung darauf. Mein Fuß hing kraftlos herab. Ich hatte nicht geschlafen, als die Krankenschwester kam. Ich konnte nicht schlafen, weil ich riesige Angst hatte, die über Nacht noch größer geworden war. Ich wusste, dass es verrückt war, aber ich war mir sicher, ich würde sterben. Ich wollte das jemandem erzählen und mir versichern lassen, dass ich dummes Zeug dachte. Es fühlte sich wie eine harte Wahrheit an, wie ein Fels. Ich sagte nichts.
    Zwei Krankenschwestern kamen herein und legten mich auf eine fahrbare Liege, sie schoben mich nach oben zum Operationssaal. Der Arzt kam mit einem Lächeln herein. Ich wollte mich von jemandem verabschieden, irgendjemandem. Er befestigte ein Plastikband mit einem Jesusbild an meinem linken Handgelenk. Ich erwiderte das Lächeln des Arztes. Als er ging, hielt ich das Bild in der Hand.
    Die Operation ging glatt. Als ich aufwachte, sah ich einen schweren weißen Gips von meinem Knie bis zu den Zehen. Ich lebte. Ich verstand das nicht. Der Fels war noch immer in mir. Solange ich im Krankenhaus war, wurde er jede Nacht größer und scharfkantiger. Ich hatte das Gefühl, ich müsste mich auf mein Atmen konzentrieren, um weiteratmen zu können. Ich zwang Luft in mich hinein und wieder heraus und hatte Angst, ich würde, wenn ich damit aufhörte, keine Luft mehr bekommen. Am Tage war es leichter. Als ich aus dem Krankenhaus kam, legte ich mich abends in mein Himmelbett, unter meine genoppte rosa Decke aus altem Voile, und schloss vor der weißen Wand die Augen. Aber sobald ich die Augen zugemacht hatte, schlug mein Herz zu schnell, panisch. Ich hatte Angst, wenn ich im Dunkeln schlief, würde ich sterben. Also setzte ich mich ins Wohnzimmer vor den Fernseher, ganz nah, damit ich niemanden weckte, und die Leute im Fernsehen leisteten mir mit ihren Gesprächen und Sorgen Gesellschaft. Ich schlief erst, wenn mein Zimmer voller Licht war. So ging das viele Tage, bis ich eines Tages im Hellen die Augen schloss und mein Herz wieder so schnell zu schlagen begann. Jetzt konnte ich gar nicht mehr schlafen. Der Zeitpunkt schien gekommen, jemandem davon zu erzählen.
    Es ist Neujahr, ein Jahr nachdem ich Tommy weggegeben habe, mein Vater und mein Bruder sehen fern, eine Sportshow. Phyllis George spricht, und ich denke, welches Glück sie hat, am Leben zu sein. Wenige Minuten zuvor habe ich meiner Familie sagen wollen, dass ich sterbe, aber mein Dad hat gesagt: »Was?«, und weiter auf den Fernseher geguckt. Ich weiß nicht mehr, wie ich es formuliert habe. Möglicherweise habe ich gesagt, ich glaubte, ich würde vom Schlafen sterben. Es ist schwer, verständlich zu reden. In einer hellen, hellen Welt der Kanten und Fakten zu sprechen. Ich habe Angst, es so zu sagen, wie es ist, Angst, sie würden denken, ich hätte den Verstand verloren.
    Das Telefon klingelt. Mein Vater wendet sich von dem

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