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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Autoren: Kelle Groom
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wieder in seinem Haus, alle schlafen. Ich wälze mich auf der Couch, bis ich es nicht länger aushalte ohne ihn. Ungeachtet der Geräusche, des Risikos, dass seine Eltern aufwachen könnten, steige ich die Treppe zu seinem Bett hoch. Seine Augen sind offen, sie sind länglich und scharf, als hätte sich sogar die Form der Augen verändert. Er steht auf, führt mich in die Garage, in die Dunkelheit des Autos. Es ist der einzige private Ort, der einzige Ort, wo man uns nicht hören kann. Zwischen uns der Schaltknüppel, wie der Schreibstift an einem Ouija-Brett, als könnte er die Fragen des Jungen beantworten. Er fragt immer wieder:
Was hast du gemacht?
Ich versuche ihm von der extremen Traurigkeit in meinem Torso zu erzählen. Aber ich kann nur von Tommy erzählen. Es gibt Männer, an deren Hände kann ich mich nicht erinnern, an ihre körperliche Berührung, keine physische Erinnerung an den Sex. Aber als ich dem Jungen, der Tom heißt, als ich ihm von meinem Sohn erzähle, weint er. Er hält mich fest an sich gedrückt, als wäre er in mir. Und das Festhalten bleibt mir, wie die gemalten Werke der Barmherzigkeit.

Als ich sie das letzte Mal sah
    There is a last even of last times.
    Samuel Beckett
    Im Sommer 1983 gerät mein Alkoholkonsum so sehr außer Kontrolle, dass Sophie sich weigert, mit mir auszugehen. An der Bar hatte ich versucht, sie zu überlisten. Trank ein paar Gläser, während sie auf der Toilette war, trank Wodka, als Saft verkleidet. Aber ab irgendeinem Punkt war ich so betrunken, dass sie sich um mich kümmern musste. Sie hatte genug davon. War es leid, dass ich das Bewusstsein verlor, dass sie für mich aufwischen musste, dass ich unter Tischen, auf dem Fußboden, auf dem Parkplatz, im Garten einschlief. Wenn ich trank und Sophie war da, dann war ich in Sicherheit. Ohne sie konnte alles Mögliche passieren. Niemand sonst wusste mich zu beschützen. Ich gehe zu den AA -Treffen, hin und wieder. Es ist der 4 . Juli, und ich habe sechs Tage lang nichts getrunken. Für mich eine ziemlich lange Zeit. Normalerweise trinke ich jeden zweiten Tag. Manchmal schaffe ich es vier Tage ohne. Aber Feiertage sind schwierig – ich muss nicht arbeiten, habe frei. Und jetzt bin ich auf Bekannte angewiesen, die nicht wissen, dass man mich nicht allein lassen darf, dass ich dann verschwinde.
    Ich bin allein zu Hause, in der Wohnung, die meine Eltern für mich gefunden haben. Sechs Tage an der Kasse, sechs Tage Wäsche und Fernsehen, Schwüle, Hausarbeit, Abwasch, Staub. Ich sehe zu dem Telefon an der Wand hin. Fahre mit dem Finger die Namen in meinem Adressbuch entlang. Halte bei den Namen von zwei Schwestern an, die jederzeit Lust haben auszugehen. Eine arbeitet in einem Friseursalon und trägt immer einen Hut. Bis sie anfangen zu trinken, sind sie beide eher reserviert. Ich rufe sie an. Wir treffen uns um zehn Uhr in einer neuen Bar. »Heute Abend trinke ich nur Bier«, sage ich. »Davon kann ich nicht so viel trinken, dass ich betrunken werde. Ich bin vorher schon voll.« Das Hut-Mädchen sagt, sie würde sich gern betrinken. Alle sind guter Dinge. Die Kellnerin bringt mir ein Getränk, das jemand an einem anderen Tisch für mich ausgibt. Es ist kein Bier. Ich trinke – es ist Tequila, Rum, Wodka. Noch einmal gibt mir jemand einen aus. Als die Bar schließt, geht die eine Schwester nach Hause, und das Hut-Mädchen geht mit mir in einen Club, der nach der Sperrstunde noch geöffnet hat.
    In dem Club versucht ein Mann, das Hut-Mädchen anzumachen. Er schenkt uns eine Fünftelflasche Jack Daniels und eine Fünftelflasche Southern Comfort. Für Wasser muss man bezahlen, und nach einem Glas nehme ich die viereckige JD -Flasche und gieße mein Glas halb voll, dann gieße ich es mit Southern Comfort bis zum Rand voll. Ein bisschen läuft über. Schlucken, atmen, schlucken, atmen, runterkippen, runterkippen, atmen, runterkippen. Wieder gieße ich mir das Glas voll. Gleich muss ich mich übergeben.
    In der Toilettenkabine verliere ich das Bewusstsein. Wache auf, das Gesicht auf den schmutzigen Kacheln, Schuhe sind durch den Spalt unter der Kabinentür zu sehen, an den Waschbecken, vor den Spiegeln. Ich habe Mühe aufzustehen, als würde ich einen anderen Körper aufheben, aus der Tiefe und mit Wasser vollgesogen. Vor dem Wandspiegel sehe ich eine Frau mit Kaugummi und bitte um welches. Zimtgeschmack, ein winziges Rechteck, ein kleines Brennen auf der Zunge. Ihr Gesicht im Spiegel, bevor ich rausgehe, wieder das
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