Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)
Schrift aus und verschicken sie. Buchen ein Restaurant für eine Generalprobe. Zwei Wochen vor der Hochzeit kommt Jason an einem Samstagnachmittag mit dem Bus aus Jacksonville. Meine Eltern sind nicht da, und wir schlafen auf meinem Himmelbett miteinander. Um acht Uhr abends schläft er fest, ein großer Mann, der mit seinem Körper mein schmales Mädchenbett ausfüllt. Ich lege ihm einen Zettel hin, auf dem steht, ich brächte einer kranken Freundin Kekse vorbei, und mache mich auf den Weg zu dem Mann, den ich liebe: Bill, Bill, Barkeeper Bill mit dem schönen glatten Haar und den vielen Freundinnen. Er liebt mich auch, liebt es, wenn ich auf dem Küchentisch sitze und direkt aus der Flasche trinke. Bill ist nicht glücklich darüber, dass ich heirate, mag die Vorstellung nicht, dass er mich besuchen soll, wenn mein Mann auf See ist. Als sähe er in der Ehe eine moralische Verpflichtung, solange es nicht seine Ehe ist. Bill hält mich nicht auf, er geht vor mir nicht auf die Knie.
An dem Abend ist Bill nicht einmal in der Bar. Ich spüre die blank gekratzte Leere der Bar, Zigarettenholz, Insektensummen, und treffe seinen Freund Zappa, so genannt wegen seines Frito-Bandito-Schnurrbarts, seiner Haare, der kaffeetraurigen Augen, lässig vertraut. In meiner Erinnerung ist nichts bis zum nächsten Morgen, als ich das Weiß eines Lakens sehe und Zappa den Becher nimmt, in dem meine Kontaktlinsen schwimmen, und ihn aus dem Fenster wirft, blau, blau. Ich finde nur eine auf dem Rasen wieder und habe Mühe beim Fahren. Als ich zurückkomme, ist Jason wach und hat sich auf der Veranda versteckt. »Ich vertraue dir nicht«, sagt er. Ich weine maßlos, wie eine Verstoßene. Ich heule in schrillen Tönen wie eine irische Todesfee. Jason fährt mein Auto zum Busbahnhof, und während ich auf dem Beifahrersitz heule, ist plötzlich ein Kunde aus dem Naturkostladen, in dem ich arbeite, im Auto neben meinem. Er sitzt so ruhig am Steuer. Der Anblick von Ruhe und Verstand. Überraschend und klar. Ich könnte in meinem Auto unter Wasser sein. Ich könnte ertrinken. Ich weiß überhaupt nicht, wie das Leben in dieser trockenen Welt geht. Einen kurzen Moment lang, während unsere Autos nebeneinander herfahren, scheinen die Welten nebeneinander zu existieren. Ich möchte in Sicherheit sein, möchte an einem stillen Ort wohnen, wo ich denken kann. Jason ist ungerührt. Er ruft aus Jacksonville an. »Ich habe mit meinem Pfarrer gesprochen. Er sagt, ich solle mit dem Heiraten warten. Bis ich nicht mehr zur See fahre. In einem halben Jahr bin ich zurück. Dann können wir reden.« Die Idee zu heiraten vergeht. Meine Eltern geben Jason die Schuld. Sie sagen, er habe mich sitzen gelassen. Mein Hochzeitskleid ist ein Geist in einem Schrank voller Mäntel.
Ich gehe wieder zu den Dry-Dock-Treffen. Sitze auf einem Stuhl. Gebe mir Mühe, die volle Stunde auszuharren. Meine Therapeutin nimmt mich bei den Treffen in den Arm, eine Umarmung, die sich wie ein Schutz anfühlt, als wäre ich, solange sie mich festhält, in Sicherheit. Meine Betreuerin ist eine kräftige Frau mit blondem Haar und vielen Schützlingen, die alle trinken. Ein, zwei Tage halte ich ohne zu trinken aus. Immer noch rast etwas durch mich hindurch wie Adrenalin. Ich kann dem anderen Sozialarbeiter zuhören, einem Mann mit braunem Schnurrbart, der mich freundlich anlächelt. Jim. Ich sage zu ihm: »Ich habe Angst zu sprechen, vom Stuhl aufzustehen.« Er fragt: »Was ist das Schlimmste, das passieren kann?« Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Ich stelle mir vor, dass ich den Gang entlang zum Podium gehe, meine Geschichte erzähle – und was dann? Meine Knie werden weich. Das scharfe Weiße um mich herum explodiert, das ist alles, was ich sehen kann. Ich verliere den Halt, kippe, falle ins Dunkle, lande den anderen zu Füßen. Ich höre, wie meine Therapeutin sagt: »Dann heben wir dich eben auf.«
Sieben Werke der Barmherzigkeit
Im Frühjahr 1983 studiere ich an der Universität: Englische Literatur als Hauptfach. Meine Mutter gibt mir Geld für die Kurse und für Bücher. Meine Eltern überraschen mich mit einem Geschenk, einer elektrischen Schreibmaschine, die zweihundert Dollar gekostet hat und meine alte manuelle ersetzt. Ich bin für ihre Hilfe dankbar, aber gleichzeitig habe ich Schuldgefühle. In meinem Seminar für Kreatives Schreiben schreibt ein Junge mit einer Wolke schwarzer Haare eine Geschichte, in der der Erzähler über den Campus geht, jahrelang, so scheint es,
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