Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
Vom Netzwerk:
gewürgten Eierstock gleich mit, und mich wieder zugenäht. Die anderen Symptome waren von der Verknäuelung verursacht und würden sich nach der Operation normalisieren.
    Am Telefon im Operationssaal sagte der Arzt: »Ich respektiere Kelles Wunsch und nehme keine Hysterektomie vor.« Ich hatte dem Arzt vor der Operation einen Brief geschrieben. Darin hatte ich geschrieben: »Wenn es kein Krebs ist, möchte ich keine Hysterektomie. Ich möchte noch ein Kind bekommen.« Ich hatte gedacht, der Arzt würde dem Schriftlichen mehr Aufmerksamkeit schenken als meinen Worten in der Luft. Ich wusste, dass er dachte, wenn ich meine Gebärmutter nicht mehr gebrauchen würde, könnte er in einer großen Aufräumaktion alles herausnehmen, wie aus einem Schrank, und mich in chirurgisch eingeleitete Wechseljahre versetzen.
    Ich war dreiundvierzig, unverheiratet und arbeitete in einem Heim für Obdachlose. Aber ich hatte keinen Krebs, ich lag nicht im Sterben, und ich hatte noch einen Eierstock. Ein Eierstock reicht, wenn man ein Kind haben will. Einmal lief ich nachts um drei eine Straße in Virginia entlang. Die blauen Berge hatten dieselbe Farbe wie die Nacht, Licht kam von den Sternen und den kleinen Straßenlaternen links von mir. Rechts von mir spürte ich die Anwesenheit eines lebendigen Wesens in Bewegung. Es waren zwei Pferde, die sich beeilten, an meine Seite zu kommen, zwei dunkle Pferde, die mich auf ihrer Seite des Zauns begleiteten. Um mich herum die Berge. Die meiste Zeit habe ich kein Empfinden für Bäume, für ihren Zustand, ihre Verletzungen, ihren Mangel an Verstellung. Ihre Bereitschaft, sich nach den Dingen auszustrecken, die sie am Leben halten.

Obdach
    2001 hatte ich mich verliebt, hatte meine Stelle aufgegeben und war nach New York gezogen. Aber es hat nicht gehalten, und im Februar 2002 war ich wieder in Orlando. Arbeitslos. Die Klangstäbchen im Wind vor meinem Fenster klangen wie eine Kette, an der ein Hund fortwährend zieht. Jemand hatte gesagt, im Obdachlosenheim brauchten sie jemanden, der die Bittgesuche für finanzielle Unterstützung schreibt. Während des Vorstellungsgesprächs verschwand mein Nummernschild am Auto. Am Empfang sagte die Frau: »Sie haben sich verspätet.« Ich setzte mich auf einen Plastikstuhl im Wartebereich für die Obdachlosen. Eine Frau sagte: »Können Sie keine bessere Stelle bekommen als diese hier?«
    Ich wurde gerufen, trat durch die Doppeltür. Im Büro erzähle ich dem Direktor nicht, dass ich selbst kurz vor der Obdachlosigkeit stehe. Dass mein Bruder mir das Geld für die Miete gegeben hat. Desgleichen eine ehemalige Nonne und ihr Mann, mein trauriger Freund und eine Arbeitsvermittlung. Ich habe noch nie für eine Abteilung des Sozialdiensts gearbeitet. Er nimmt mich trotzdem. Vor dem Fenster des Büros sehen wir Menschen auf dem eingezäunten Picknickplatz. »Welche Beziehung habe ich zu den Bewohnern?«, frage ich ihn.
    »Keine«, sagt er. »Keine Kommunikation. Konzentrieren Sie sich einfach auf das Schreiben der Bittbriefe.« Durch das Fenster sehe ich, wie ein Mitarbeiter das Baby einer Bewohnerin auf der Hüfte trägt.
    Es soll niemand wissen, dass ich wieder in Orlando bin. Dass die Hochzeit nicht stattfindet. Deshalb bleibe ich in meiner Wohnung, außer wenn ich zur Arbeit muss und abends um den See gehe. Ich fühle mich gedemütigt, komme mir töricht vor, dass ich so voller Hoffnung war. Einsam. In dem Heim habe ich mein eigenes Büro von der Größe eines Wandschranks, weit weg von den Verwaltungsbüros und meinen Kollegen. Ich arbeite, wo andere Menschen wohnen. Abends stehen sie im Flur vor meinem Büro zum Essen an. Kinder springen hoch und versuchen, einen Blick durch das kleine Fenster zu erhaschen. Leute wohnen hinter mir – ich höre ein Radio, Füße, die gegen unsere gemeinsame Wand treten. Der Haupteingang für die Bewohner ist gleich links von meinem Büro. Die Notaufnahme für Missbrauchsopfer und deren Kinder ist in einem anderen Gebäude, in einer anderen Straße. Die Wände sind weiß, die Decken, selbst der Himmel sieht weiß aus – das Weiß, das man bei plötzlichem Schmerz sieht, als würde ein Baseball einen ins Gesicht treffen, noch bevor die Tränen kommen.
    Der Informationstisch ist am Ende des Flurs, den Toiletten für Mitarbeiter gegenüber. Ich warte darauf, dass jemand aus dem Lagerraum hinter dem Schreibtisch kommt, damit ich um Seife bitten kann. Neben mir ist ein kleines Mädchen, das kaum alt genug scheint, um stehen zu

Weitere Kostenlose Bücher