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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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ihren Wandschrank auf und holt eine Schachtel mit Similac-Babynahrung in winzigen Flaschen heraus, auf jeder ein Schnuller. Michael setzt sich auf dem Spielplatz auf eine Bank, streckt die gewölbte Hand aus, wie man Wasser schöpfen würde, und nimmt von Sharon einen Welpen entgegen, von der Farbe gelber Milch. Also setze ich mich für den zweiten kleinen Hund neben ihn, weiß, das eine Ohr nass. Er weiß noch nicht, wie er saugen muss. Ein Mädchen macht das Hundemäulchen auf, damit ich die Milch auf seine Zunge träufeln kann. Wir haben nicht neun Paar Hände, deshalb ist der schwarze Welpe noch nicht gefüttert. Als ich ihm das Fläschchen gebe, trinkt er und trinkt, ohne abzusetzen. Ich würde mit ihm ein Bäuerchen machen, aber er trinkt weiter, fast die ganze Flasche leer.
    Dann schläft er auf meinem Unterarm ein, in den Blumenperlen meines schwarzen Pullovers, das Mäulchen offen, die rosa Zunge sichtbar. Er träumt. Er scheißt mir auf den Arm, irisierender grüner Schleim, jemand wischt es weg. Gestern habe ich seine Mutter gesehen – kastanienbraun, zottiges Fell, unbekümmert mit ihrem dicken Bauch auf dem Parkplatz, der nach Pisse stinkt. Ich blies jeden Atemzug aus, als wollte ich Ballons füllen. Als ich zum Haupteingang ging, war sie auf dem Weg zu dem Containerbüro. Der Direktor kommt aus dem Eingang, sieht mich zusammen mit den Bewohnern und den Welpen. Sieht die Flasche in meiner Hand. Schüttelt den Kopf.
    Ich muss im Jahr zweieinhalb Millionen Dollar an finanziellen Zuwendungen zusammenbekommen, das ist nur für das Nötigste. Jeden Abend schlafen und essen hier 750  Menschen. Zweihundert davon sind Kinder, die meisten unter sieben Jahre.
    Ich fülle offizielle Formulare in meinem trüben Büro aus, als das Kripo-Team im weißen Wagen ankommt. Polizisten sperren die Nebenstraßen ab, schneiden den zwei Typen den Weg ab, die sich in dem überfüllten Waschsaal geschlagen haben. Ein Mann hat einen anderen mit dem Messer angegriffen, aber als die Rotte Polizisten die Männer dingfest gemacht hat, wird das Verbrechen zur Handgreiflichkeit herabgestuft. Vielleicht war das Opfer im Rausch, sagt jemand, und der Schmerz war nicht so schlimm. Ich glaube, einer von ihnen ist der Mann, der mir morgens immer zuwinkt und »Mami« ruft.
    In der Krippe ist ein neues Baby von der Heilsarmee angekommen. Die Frauen in der Krippe sind mit Fläschchen und Windeln beschäftigt, und Delia sitzt auf dem Teppich und weint, meine Arme machen sich nützlich und heben sie hoch. Sie richtet sich auf meiner Hüfte ein. Ihre Wimpern sind schwarz, nass wie ein Pinsel, die Haare wolkige Locken, Mandelaugen. Hängebacken wie bei einem alten Mann. Ich halte den Nikolaus für sie, und er sagt: »Hallo«, Elmo sagt: »Hallo«, ein Papiervogel an einem Band fliegt vorbei, und schließlich antwortet Delia mit Singen. Es ist, als würde ich zu einem Vogel in meinen Armen sprechen. Ich möchte mich mit Delia im Schaukelstuhl niederlassen, wie an dem Tag, als mein Sohn geboren wurde, dem einzigen Tag, an dem der Arzt mir erlaubt hatte, ihn zu schaukeln. Als ich Delia einer anderen Frau gebe und das Kind weint und die Arme durch den Raum nach mir ausstreckt, lacht die Frau und sagt: »Das ist nicht deine Mutter.« Aber Delia lässt sich nicht beruhigen, streckt weiter die Arme nach mir aus.
    George kennt mich aus der Krippe, er sieht mich zur Arbeit kommen. Bevor ich an der Tür bin, lehnt er sich an mich, schmiegt sein Gesicht an meine nackten Beine, an die Blumen in meinem Rock, als wäre ich eine Wiese. Als ich zwei Jahre zuvor in dem Heim angefangen hatte, war ich mir gar nicht sicher, ob mein Körper noch da war.
    An dem Tag, als Tiny drei wurde, trug sie eine blaue Bluse mit Puffärmeln und weißen Streifen. Sie sah das Licht in meinem Büro und kam herein. Ich hörte sie zu meinem Schreibtisch flüstern: »Ist hier ein Geschenk für mich?« Ich schämte mich für mich selbst, aber Tiny suchte weiter. Sie ging zu jeder Lampe und sagte: »Ich mag dein Licht.« Alles, was sie anhatte, war neu: weiße Haarspangen, ein lila Satintäschchen, das Iris ihr geschenkt hatte. Ich war Iris mit den großen Augen und den baumelnden Ohrringen, die ihren Namen buchstabierten, so dankbar. Als Iris sagte: »Du bist beautiful«, sagte Tiny: »Ich heiße Tiny, nicht Beautiful.« Tiny, Mary, Kadesha, alle in ausgelassener Stimmung, kreischen auf der Hüpfburg, als sie mich sehen, und rufen: »Meine Freundin«, jeder Handkuss, jedes Winken, jede

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