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Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition)

Titel: Ich trug das Meer in Gestalt eines Mädchens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelle Groom
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sich. Julia hat uns zu dem Pub gefahren. Mark wirkt ein bisschen betrunken, er trinkt ein großes Bier. Ich glaube, es ist meine Schuld, ich habe damit angefangen. Ich frage Mark, was er möchte, und er sagt so etwas wie ein T-Bone Steak, irgendwas mit Fleisch. Und dann sagt er etwas und lacht dabei, ich verstehe ihn nicht und kann nicht antworten. Doch dann höre ich es, er sagt: »Rindfleisch, wie Tommy.« Er spricht mit mir über Tommy, ungeachtet, was es mit ihm anstellt.
    Am Schluss beleidige ich noch den Mann der Schwester meiner Tante. Er möchte wissen, ob ich einen bestimmten Autor mag, der Detektivromane und Thriller schreibt, und ich sage einfach: »Nein«, nur aufgrund des Namens. Ich verziehe das Gesicht. Es ist unfreundlich und arrogant von mir. Der Mann sagt: »Sind Sie Demokratin?«
    Ich sage: »Ja.«
    Er sagt: »Das erklärt alles.«
    »Ich habe das Gefühl, in eine Schublade gesteckt zu werden«, sage ich und lache leise. Auf dem Weg zum Auto sage ich: »Ich war hoffentlich nicht unhöflich.« Ich frage meine Tante und meinen Onkel: »Seid ihr Republikaner?« Es ist 2009 . Julia sagt: »Ja.«
    Mark fragt: »Möchtest du lieber mit einem anderen Auto fahren?« Ich lache wieder leise. Überrascht.
    Da sie jetzt wissen, warum ich sie besuche, tun wir auch nicht mehr so, als wäre ich zum Schreiben hier. Ich bin gekommen, um sie zu sehen, und sie bleiben den ganzen Tag um mich herum. Julia kauft sich ein neues Mobiltelefon. Wir fahren im Jeep mit zweien der Hunde zum Strand und machen einen Spaziergang, gehen im kalten Wind, in der Sonne. Ich habe nichts Warmes zum Anziehen dabei – mein eines Sweatshirt ist Florida-dünn –, und Julia gibt mir eins von Mark, innen Fleece, grau, außen der Name eines Colleges, das es nicht gibt. Ein Mann steht am Meer und spielt Dudelsack. Die Sonne versinkt rasch über dem Wasser auf einer der Seiten – Sund oder Bucht, auf welcher, weiß ich nicht –, und Mark fährt mit großer Entschlossenheit, damit wir sie noch über dem Wasser sehen können, bevor sie untergeht. Julia sieht das Rot durch die Bäume. »Guck, guck, da geht sie unter.« Ich gucke, aber Mark gibt den Versuch nicht auf, uns zum Strand zu bringen. Als wir auf dem Parkplatz ankommen, mit Blick auf das Meer, sehen wir einen Moment lang die leuchtende Kappe, dann nur das Meer.
    Am letzten Tag holen wir Marks Tante Ellen ab und gehen in ein schönes Hummer-Restaurant. Ich überlege, ob es für mich etwas zu essen geben wird. Deshalb bestelle ich das Gleiche wie Ellen. Julia war sich nicht sicher, ob Ellen weiß, dass ich Tommys Mutter bin. Ellen weiß, dass er adoptiert war. Sie und Mark sind sich sehr nah. Sie hat ihn aus einem Slum in Brockton gerettet, ihn nach Boston geholt und bei sich aufgenommen, ihn auf eine Privatschule geschickt. Aber vielleicht ist das über mich ein Geheimnis.
    Julia hat aber auch erzählt, dass Ellen in Boston lebte, als Tommy krank war, und ihn jeden Abend im Krankenhaus besucht hat. Kann sie Tommy in meinem Gesicht sehen? Beim Essen sprechen wir nicht von ihm. Aber als wir Ellen absetzen, wirft sie mir eine Kusshand zu. Wenn ich im Obdachlosenheim einem Kind auf dem Flur eine Kusshand zuwerfe, versucht es mit der Hand, den Kuss am Gesicht zu fangen. Jedes Mal überrascht. So wie ich jetzt.
    Am Morgen geht Julia zur Arbeit, und Mark wirkt etwas nervös, dass er mich zum Bus bringen soll. Er sagt: »Hast du alles? Taschentücher?« Es ist, als wären wir in der Zeit zurückgegangen – als hätte er vergessen, dass ich nicht mehr acht oder achtzehn bin. »Ich überlege nur, woran deine Mutter dich erinnern würde.« Meine Mutter. Ich weiß, dass es verwirrend ist – ich bin auch verwirrt.
    Wir kommen am Busbahnhof an, und ich habe mich in der Zeit geirrt, es ist viel zu früh. »Sollen wir noch einmal nach Hause fahren?«, fragt Mark. Ich will ihm nicht zur Last fallen, weiß nicht, wie ich diesen Abschied hinkriegen soll. Nach Hause.
    »Nein, ist schon gut, ich bleibe hier.« Er sagt, ich könne ihn jederzeit anrufen, und ich missverstehe ihn. Ich denke, er meint, ich kann anrufen, während ich auf den Bus warte. Ich sage lachend: »Falls ich mich langweile?«
    Mark sagt: »Wenn du etwas brauchst.« Ich will nicht kurz angebunden sein, ihn kränken. Aber ein bisschen fühlt es sich so an, als könnte ich missverstanden werden. Ich komme mit den Wörtern nicht gut klar. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Auf der Fahrt zum Busbahnhof, im Auto, hatte ich mich zu ihm

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