Ich uebe das Sterben
gebracht. Es zeigt einen noch nicht vollkommen abgeheilten Splitterbruch. Den habe ich mir wohl bei meinem letzten Sturz vom Rad vor ein paar Wochen zugezogen. Der Arzt kann kaum glauben, dass ich diese Verletzung nicht habe behandeln lassen. Aber ich kann manchmal eben ziemlich hart und rücksichtslos sein – vor allem gegen mich selbst.
Der Splitterbruch bleibt auch zu diesem Zeitpunkt unbehandelt, denn die Splitter lösen sich anscheinend von selbst auf. Es ist eine langwierige Sache, die mir sicher noch längere Zeit Probleme bereiten wird. Aber ich bin zuversichtlich, denn ich habe seit dem ersten Sturz ganz normal weitertrainiert, und die Schmerzen waren für mich absolut erträglich.
Ich hatte also wieder einmal Glück im Unglück. Als meine Freundin Nele mich aus der Klinik abholt, habe ich lediglich drei Salbenverbände, eine nicht beendete Radtrainingseinheit und einen Schreck in den Knochen vorzuweisen.
Als Harald nach Hause kommt, fahren wir zur Polizeistation nach Pfungstadt, um mein Fahrrad abzuholen. Schließlich möchte ich wissen, was daran alles kaputt ist. Oberflächlich betrachtet sieht das Rad gut aus. Wir bringen die Kette wieder an, biegen das Schaltauge zurecht, und Harald dreht ein paar Proberunden. Bis auf ein paar kleine Haker beim Hochschalten scheint alles zu funktionieren.
Am darauffolgenden Donnerstag fahre ich gemeinsam mit Harald in mein zweites Trainingslager, wieder zu Haralds Mama in Gladbeck. Ich bin fit – bis auf ein paar Schürfwunden und blaue Flecken.
Bob verhält sich ruhig, und ich möchte nicht an ihn denken – aus Angst, ich könne ihn in seiner Ruhephase stören. Ich weiß, dass ich mein Leben diesem kleinen Wunderwerk der Technik schon oft zu verdanken hatte, aber es ist auch sehr angenehm, ihn mal nicht in Aktion zu erleben.
Diesmal verbringe ich elf Tage in Gladbeck. Harald ist die ersten vier Tage dabei, doch wir trainieren nicht zusammen. Ich ziehe mein Ding durch, stur nach Trainingsplan.
Leider ist das Wetter alles andere als gut – und das Mitte Mai. Es regnet, es ist trüb, es ist kalt. Die langen Radausfahrten werden zu wahren Wasserschlachten, und die Schwimmeinheiten im Freibad verursachen ein Gänsehautfeeling. Aber ich lasse keine einzige Trainingseinheit ausfallen. Das Wetter macht mir keinen Strich durch die Rechnung.
Als ich nach Darmstadt zurückkehre, sind es noch achtundvierzig Tage bis zum Ironman. Ich schwanke zwischen Vorfreude und Panik.
Mein Trainer Ralf ist damit beschäftigt, mir die Ängste zu nehmen, die mich sogar nachts verfolgen. Ich träume von einer Sturmflut im Wörthersee, die mich verschluckt, und davon, dass ich mich auf der Radstrecke verfahre. Solche Träume lassen mich im Dunkeln oft hochschrecken. In diesen Momenten stelle ich mir die Frage, ob ich den Ironman für mein großes Buch der Erinnerungen wirklich brauche. Und ich frage mich, ob ich dieses sportliche Ereignis nicht völlig überbewerte. Mein Verstand sagt mir, dass ich das Schicksal eigentlich nicht mit verrückten Aktivitäten wie der Teilnahme an diesem Wettkampf herausfordern sollte. Schließlich kann ich froh sein, dass ich überhaupt noch lebe. Aber meine Seele möchte nichts mehr, als am Ironman teilzunehmen.
Vierzehn Tage vor dem Ironman steht ein letzter Wettkampf an. Harald und ich starten bei einem kleinen Lauf über zehn Kilometer. Die Sonne scheint, und die Strecke führt durch einen Wald. In einer neuen Bestzeit, knapp über einundfünfzig Minuten, erreiche ich die Ziellinie, wo Harald bereits auf mich wartet. Ich bin rundum zufrieden und sehe optimistisch in die Zukunft.
Die kommende Woche steht im Zeichen der Regeneration. Aus diesem Grund habe ich Zeit, mich um die Wettkampfausrüstung zu kümmern.
Welches Oberteil und welche Hose trage ich beim Laufen und Radfahren? Welchen Badeanzug ziehe ich unter dem Neoprenanzug an? Welche Sonnenbrille passt? Welche Mütze? Es soll ja nicht nur bequem sein, sondern auch gut aussehen. Da bin ich in diesem Fall ein klein wenig eitel. Ich stimme sogar die Socken farblich auf mein Outfit ab. Das ist albern, aber macht mir Freude und motiviert mich.
Neun Tage vor dem Wettkampf bringe ich mein Fahrrad in eine Werkstatt, damit noch mal alles überprüft wird.
Als ich das Rad abends abhole und eine kleine Runde drehe, stimmt überhaupt nichts mehr. Die Schaltung hakt und hängt. Die Bremsen schleifen. Haralds und meine verzweifelten Versuche, das Rad gangbar zu machen, scheitern kläglich.
In Tränen
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