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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patmos
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hinein. In Gedanken habe ich die Familie nebenan schon Familie Krachmacher getauft. Vielleicht sollte ich das in Zoffmacher ändern.

    Ich schleiche wie Esmeralda auf Katzenpfoten ans Loch in der Hecke und möchte dabei auf gar keinen Fall von den beiden Kindern gesehen werden. Erst recht nicht heute, wo sich ein Karussell in meinem Kopf dreht.
    Ich mache mich ganz klein und versuche zu verstehen, was drüben abläuft. Die Familie hat sich wahrscheinlich gestritten, ist vom Frühstückstisch aufgesprungen und ins Haus gerannt. Mehrere umgekippte Stühle liegen verloren unter dem großen, weißen Sonnenschirm am Boden, zwei Becher, aus denen Kaffee oder Milch ausgelaufen sind, liegen flach auf dem Tisch. Eine Gabel glänzt im Sonnenlicht auf dem kurz geschorenen Rasen. Und dann – gucke ich richtig? – springt Esmeralda auf den schicken Tisch und greift sich irgendetwas von einer Platte. Das macht sie bei uns nie! Hoffentlich wird sie nicht erwischt! Ich halte die Luft an.
    »Esmeralda, geh da runter! Haste sie noch alle?«, zische ich ihr zu. Sie sieht mich aus gelbgrünen Schlitzaugen an, putzt sich genüsslich die Barthaare mit der Pfote und nimmt sich Zeit, in Ruhe den Happen auf dem Tisch zu fressen. Aus dem Haus nebenan höre ich wieder Schreie und kurz darauf Türen knallen.
    Die Katze springt mit einer großen Scheibe Lachs zwischen den Zähnen vom Tisch, tänzelt zum Loch in der Hecke und legt mir ihre Beute vor die Füße. Sie lacht mich mit ihrem schlitzohrigen Katzengrinsen an.
    »Mensch, Esmeralda, wenn die dich erwischt hätten, wäre ich aber die Angemeierte gewesen, nicht du! Nimm deinen Lachs, hau ab und kotz mir bloß nicht auf Tante Antje!« Esmeralda trippelt tatsächlich in Richtung Tante Antje, dreht sich herausfordernd um, legt sich aber artig unter das Riesendreirad. Ich beobachte, wie die große Terrassentür nebenan geöffnet wird. Mister Hip-Hop-Hose und Fräulein Barbie, heute in Hellblau und Weiß, betreten die Rasenfläche. Hinter ihnen, im Haus, fällt plötzlich Geschirr auf den Boden. Es klirrt und kracht ohrenbetäubend. Barbie fängt an zu weinen und ihr großer Bruder nimmt sie an die Hand. Er sieht sich um, weil er bestimmt noch nicht weiß, wo er sich mit ihr verstecken kann vor der Theateraufführung im Haus. Ich glaube nicht, dass sie mich schon gesehen haben, aber gerade als ich mich davonschleichen will, sagt eine Stimme durch die Hecke:
    »Ihr habt wohl kein Geschirr übrig, mit dem ihr schmeißen könnt, wie?«
    Jetzt reicht es mir! Du hast einen Riss in der Schüssel! Ein Loch im Kopf! Was bildest du dir eigentlich ein, du Mistkerl! Bloß weil ihr in eine Villa mit 16 Zimmern und mit einem Haufen Kartons hier eingezogen seid, brauchst du dich noch lange nicht so aufzublasen.
    Das alles möchte ich ihm an den Kopf werfen, so wütend bin ich. Aber ich kann nicht, nicht nach dem, was ich gestern mit Tommy erleben durfte. Ich schicke meine Wut in die Wüste und atme tief durch.
    An seinem Blick merke ich, dass er immer noch auf einen Wutausbruch hofft. Fast hätte er mich so weit gebracht, wirklich auszuflippen.
    »Du kannst dich unten im Keller verstecken. Im Weinkeller gibt es neben den Regalen hinten links in der Ecke eine kleine Tür, dahinter ist eine Kammer, sogar mit einem Fenster. Dort habt ihr Ruhe vor dem Sturm.«
    Sein verblüfftes Gesicht nehme ich zwar wahr, es interessiert mich aber nicht mehr.
    Ich stehe auf, drehe mich um und gehe zu Tante Antje. Esmeralda hat sich mit dem Rest der Lachsscheibe unter ihr versteckt. Ich lege mich auf Kissen und Decken, die Mama auf der Ladefläche ausgebreitet hat. Sogar meine Bücher, das Notizbuch und frisch gepresster Saft und eine kleine Schale mit Kirschen stehen auf einem Tablett. Mama weiß genau, wonach mir gerade ist, und ich liebe sie in dem Augenblick über alles. Die beiden Nachbarskinder lasse ich an der Hecke stehen und kümmere mich nicht mehr um sie. Auch nicht, als der Junge noch »Ich heiße Jonathan und meine Schwester Larissa!« ruft.
    Ich will allein sein. Ganz allein. Ohne Jonathan, Larissa und vor allem ohne Krach.

Sieben
    Zwei blaue Vögel mit breiten Schwingen und ich fliegen mit kräftigen Flügelschlägen in weiten Kurven und Schleifen durch bauschige Wolken, auf der Suche nach Tommy. Plötzlich gibt es einen Ruck und ich stürze steil nach unten, schnell und doch lange, tief und tiefer. Unter mir endlose Flächen, dunkelgrün und ohne Flüsse, Seen oder Meere. Der Aufprall wird grauenhaft sein, mit

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