Ich und andere uncoole Dinge in New York
fällt mir auf, dass mir alle anderen mehr Mails und SMS schreiben als Peter und sogar Ben Zeit hat, mich kurz zu treffen. Aber das verdränge ich schnell wieder. Ich bin zu kompliziert und zu kleinlich. Sind Mädchen ja bekannt für.
„Ben will mich zum Mittagessen treffen. Weißt du, was los ist?“ Ich lehne mich auf die Cubicle-Abtrennung, hinter der Rachel sitzt und glückselig grinsend in ihren Computer tippt.
„Was ist denn so lustig?“, frage ich, als sie nicht reagiert.
Sie blickt hoch. „Amal. Er ist wahnsinnig komisch. Ich habe Dave gesagt, dass wir bald endlich in sein Haus nach Montauk kommen. Sonst schaffen wir das am Schluss nicht mehr. Und wir müssen vorher ja noch auf dieses Scirox-Bonding-Wochenende.“
Am Schluss. In drei Wochen. Die Zeit rast, Rachel hat recht. Irgendwann muss ich ja wieder zurück in die Schule in Dinslaken. Das scheint völlig unwirklich. Oder unmöglich. Vielleicht kann ich einfach hier bleiben. „Meinst du, ich bin weiterhin eingeladen?“
„Du kennst Dave nicht. Ich glaube, er findet deine Mutter wirklich scharf. So schnell lässt er die nicht gehen. Sagen wir mal so: Wäre auch ganz nett, wenn sie nicht ewig in unserem Apartment wohnt. Meine Sommer-WG hatte ich mir ursprünglich als Mütter-freie Zone vorgestellt.“
„Benjamin will mich zum Mittagessen treffen.“
„Wuppsi! Vielleicht hat er sich in dich verliebt?“
Ich rolle mit den Augen.
„Du hast recht, nimm’s nicht persönlich, aber das glaube ich auch nicht.“
„Er macht bestimmt Ärger wegen meiner Mutter.“
Rachel sieht mich mitleidig an. „Tja, sag ihm, ich rede mit Dave, dass er die Versöhnung vorantreibt, damit das nicht so eine lange Nummer wird.“
Ich schreibe Ben zurück und schlage vor, ihn direkt im Restaurant zu treffen. Aber er besteht darauf, mich abzuholen, obwohl er in der Nähe der Wall Street arbeitet. Benjamin verschwendet keine Zeile mit freundlichen Floskeln, das Treffen ist keine Einladung, sondern ein Befehl.
Mittags laufe ich den Flur entlang, um Ben im Foyer im Erdgeschoss zu treffen. Eigentlich habe ich keine Zeit und mein Magen ist verkrampft, weil ich natürlich genauso wenig Bock auf meine Mutter im Apartment habe wie alle anderen, sie aber auch schlecht rauswerfen kann. Dann erkenne ich plötzlich eine vertraute Silhouette am anderen Ende des Großraumbüros. Für einen Moment sehe ich ihn, wie Fremde ihn sehen müssen: der graue Nadelstreifen-Anzug verleiht Ben Souveränität und macht ihn älter. Der Stoff fällt weich an seinem Körper herunter und passt sich seinem breiten Kreuz und den schmalen Hüften problemlos an. Wahrscheinlich ist der Anzug genauso maßgefertigt wie seine Schuhe. Er steht seitlich vor einem der wenigen Fenster und spricht mit Gretchen. Vor dem hellen Hintergrund wirken beide wie Figuren in einem chinesischen Schattenspiel. Er redet, Gretchen hört zu und streicht sich lose Haarsträhnen hinter die Ohren, was ihr ein verletzliches Aussehen verleiht, das ich noch nie an ihr gesehen habe. Sie legt den Kopf zur Seite und entblößt ihren Hals. Gretchen flirtet! Ben winkt, als er mich sieht, sagt noch etwas und kommt zu mir. Sein Gesicht leuchtet, als hätte er gerade einen Waldlauf hinter sich gebracht.
„Ich habe Gretchen schon an dem Abend kennengelernt, als wir im Boar Club waren“, erklärt Ben, als wir einen Sandwich in einem nahgelegenen Subway essen. „Dann haben wir uns letztens zufällig nochmal getroffen und festgestellt, dass ihr zusammen arbeitet“, sagt Ben.
„Und warum triffst du dann mich zum Mittagessen und nicht Gretchen?“
„Ich wollte dich wirklich zum Mittagessen einladen. Du warst nicht nur eine Entschuldigung, um bei Scirox vorbeizukommen.“ Er lächelt mich mit seinen ultra-weißen Zähnen an.
Ich ziehe meine Augenbrauen so hoch, wie ich kann.
„Okay, okay. Vielleicht warst du eine Entschuldigung. Aber es ist doch schön, dass wir uns auf diese Weise mal mittags sehen.“ Er versenkt sein gesamtes Gebiss in dem Sandwich und schlingt es fast unzerkaut herunter.
„Jetzt sag schon.“
„Gretchen ist immer so ausweichend, wenn ich mich mit ihr treffen will. Ich musste sie nochmal persönlich sehen, um sie auf eine Verabredung festzunageln.“ Ben seufzt. „Hat sie einen Freund?“
„Keine Ahnung. Hat sie ja gesagt?“ Mir fällt auf, dass ich nichts über Gretchens Leben außerhalb von Scirox weiß. Eigentlich fällt mir sogar zum ersten Mal auf, dass sie überhaupt eins hat.
„Nächsten
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