Ich und andere uncoole Dinge in New York
das noch traurig machen könnte.
„Ich habe was Leckeres für euch eingekauft.“ Regine deutet auf die großen, braunen Einkaufstüten, die in der Ecke stehen.
Jetzt werde ich stutzig. Irgendetwas stimmt nicht, wenn sie plötzlich so mütterlich ist. Will sie mir vielleicht sagen, dass sie und Dave heiraten wollen? Ich sehe mich nochmal genau um. In der Ecke steht ihr Koffer. Sie ist meinem Blick gefolgt und als ich sie fragend ansehe, erkenne ich plötzlich Angst in ihrem Blick. Dann verzieht sich ihr Gesicht zu einer Grimasse. Sie atmet geräuschvoll ein und ein lauter Schluchzer erschüttert ihren Körper. Mit dem Schluchzer kommen die Tränen und plötzlich sitzt ein Häufchen Elend vor mir und auf ihren Wangen bilden sich lange schwarze Rinnsale aus Tränen gemischt mit Kajal.
„Ich will nicht, dass du mich so siehst“, sagt sie theatralisch, als wäre sie nicht extra gekommen, um sich bei mir auszuheulen.
„Wie läuft’s bei deinem Praktikum?“, fragt sie und es ist klar, dass ihr die Antwort wurscht ist.
„Was ist passiert?“, lasse ich mich breitschlagen zu fragen und sofort hat sie ihre eigene Frage vergessen und erzählt über sich selbst. Manchmal wünschte ich, ich würde sie nicht so gut kennen.
„Ach, es ist wegen Debbie. Sie hat mich angerufen und ich habe sie getroffen. Dave hat es aber herausgefunden und sich schrecklich aufgeregt. Er meinte, wir würden uns gegen ihn verbünden und auf so eine Nummer hätte er keinen Bock.“
Wenn ich jetzt sage, dass ich das nachvollziehen kann, hilft das wahrscheinlich nichts. Deshalb schweige ich lieber.
„Und dann habe ich dummerweise zugegeben, dass sie mir einige Dinge erzählt hat, von denen sie der Meinung ist, dass ich sie besser wissen sollte, wenn es so etwas wie Frauensolidarität in der Welt gibt. Und dass ich nicht als Muse benutzt werden möchte und dann fallen gelassen, wenn er neue Inspiration braucht, wie er das bei den anderen Frauen wohl gemacht hat.“
Da wäre ich an Daves Stelle auch sauer gewesen. Wieso glaubt sie denn Deborah mehr als ihm? Aber das sage ich ebenfalls lieber nicht.
Meine Mutter sieht mich mit ihren verheulten Augen von unten an. „Kann ich ein paar Tage hierbleiben?“
„Hier?“ Das ist ihr Plan!
„Ich kann doch auf der Couch schlafen.“ Sie sieht mich bittend an. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet und mein Gehirn arbeitet heute viel zu schwerfällig, als dass mir eine Ausrede einfällt. Sie weiß natürlich, dass man seiner Mutter kaum ausschlagen kann, auf der Couch zu übernachten. Und wenn sie mich so zerknirscht ansieht, tut sie mir auch irgendwie leid.
„Du kannst mein Bett nehmen und ich nehme die Couch.“
„Das muss nicht sein.“
„Nee, wirklich. Sonst wundert sich Benjamin zu sehr.“ Im Wohnzimmer kann sonst niemand mehr eine Sekunde fernsehen oder sich unterhalten, ohne dass meine Mutter dabei ist. Dann lieber in meinem Zimmer. Sie nickt und ziert sich auch nicht weiter. Stattdessen nimmt sie ihren Koffer und verschwindet hinter meiner Tür.
„Was machst du?“
„Ich dusche nur schnell und dann können wir los ins MoMA.“ Ihre Stimme klingt wieder fröhlich.
„Äh, prima. Kann ich auch noch vorher duschen?“
Sie steckt ihren Kopf nochmal zur Tür heraus.
„Natürlich, ich wollte mich nicht vordrängen. Wir wohnen jetzt ja in einer Wohngemeinschaft“, grinst sie, keineswegs betrübt über die neue Situation. „Habe ich dir schon erzählt, dass bald ein paar Bilder von mir in einer Galerie gezeigt werden sollen? Mein Galerist muss nur noch eine Location finden.“
„Das ist ja toll.“
Sie verschwindet gut gelaunt. Ich bleibe zurück. Mir ist so schlecht. Und jetzt ist sogar mein Bett belegt, wo ich mich hätte ausruhen können. Ich schnappe mir ein Handtuch und gehe in Rachels Badezimmer zum Duschen.
Später laufe ich im Delirium mit meiner Mutter durch die Abteilungen mit den grellsten Bildern im MoMA. Was er wohl denkt, wenn er aufwacht und den Fleck sieht? Ob er wohl gestern Nacht schon was gemerkt hat? Merkt man das eigentlich als Mann, dass man der Erste ist? Ob der Sex wohl noch besser wird? Es muss besser werden, ehrlich gesagt, sonst würde nicht so ein Bohei darum gemacht. Es sind ziemlich viele Leute im MoMA und dann verpasse ich doch tatsächlich Peters Anruf, obwohl ich alle fünf Minuten mein Handy gecheckt habe. Ich höre es ab, während ich vor Edward Hoppers New York Movie mit der einsamen Frau stehe. „Hallo, Judith. Ich hoffe, dir
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