Ich und du Muellers Kuh
bekäme, wenn er an der anderen Seite des Fensters stünde...«
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Krankheit uns erneut überfiel und wir in seinem Zimmer ans Werk gingen. Da allerdings war er nicht willens das Haus zu verlassen, sondern stand sprungbereit in der Mitte des Raumes, um sich auf uns zu stürzen, falls wir nicht pfleglich mit seinen Büchern umgingen.
»Wenn ich dich nicht so liebte...«, der Rest seiner Rede erstarb in unverständlichem Gebrummel.
»Ich habe nun einmal diese kleine Schwäche«, entgegnete meine Mutter, »sei duldsam, Paul-Gerhard, und denke an den Farn!«
Der Farn grünte im Garten, und sooft Vater seiner ansichtig wurde, wandte er sich mißmutig ab. Dieses Gewächs hatte ihm Spott und Ärger eingetragen und erinnerte ihn das liebe lange Gartenjahr hindurch an eigene Schwächen. Es verhielt sich nämlich so, daß mein Vater keinen Hausierer von der Tür weisen konnte, ohne ihm etwas abzukaufen, und daß er auf jeden Trick hereinfiel. »Paul-Gerhard, ich bitte dich!« jammerte Mutti, »was soll ich mit all dem Ramsch anfangen?«
Aber trotz ihrer Klagen häuften sich in unserem Haushalt ranzige Seifen, stumpfe Scheren und haarende Bürsten. »Hausierer sind arme Menschen«, sagte mein Vater. »Sie müssen bei Wind und Regen von Tür zu Tür gehen, ich bringe es nicht übers Herz, sie abzuweisen.«
»Dann gib ihnen etwas Geld und laß sie ihr Zeugs wieder einpacken!«
»Nein, das würde sie demütigen! Es sind ehrenhafte Händler, die etwas verkaufen wollen.«
Nun, wie ehrenhaft diese Händler waren, das zeigte der Farn, welcher sich in unserem Garten ausgesprochen wohlfühlte und auf s Beste gedieh.
Mein Vater war allein zu Hause, als der Hausierer mit einem Koffer voller Wurzeln erschien.
»Es sind Wunderblumen, mein Herr, exotische Gewächse von unerhörter Schönheit, blaue Blüten, goldene Staubgefäße darin, wie ein Krönchen...«
»Aber ich habe sie noch nie gesehen«, warf mein Vater dazwischen, ehrlich bemüht, sich diesmal nicht einfangen zu lassen.
»Das können Sie auch nicht, mein Herr, denn ich habe sie aus Indien mitgebracht, unter größten Gefahren. Stellen Sie sich vor: eine einsame Bergwiese, so blau wie der Ozean, und der Duft, unbeschreiblich süß!«
Die »blaue Blume der Romantik«, so sagte mein Vater nachher, wäre vor seinen Augen erblüht. Da hätte er nicht widerstehen können, zumal die Wurzel seltsam geartet und der Händler armselig gewandet gewesen sei. Er hätte auch nur eine einzige gekauft, obwohl es ihn schmerzlich nach einer blauen Wiese im Garten verlangt hätte.
»Ein teures Gewächs!« seufzte Mutti und betrachtete die Wurzel mit ärgerlichen Blicken. »Hoffentlich hält sie, was sie nicht verspricht. O, Paul-Gerhard, daß du es nicht lassen kannst!«
Else grub die Wurzel im Garten ein. Sie tat dies unter deutlichen Kundgebungen ihres Mißfallens.
»Mei bosche kochanje! Ich will nuscht nich jesacht haben, aber das sieht mich nicht nach einer Wunderblume aus! Und was der Herr Pfarrer ist, der kann schön predchen, aber sonst ist er zu jut für diese Welt...«
»Else!«
»Ja, ich sach ja nuscht nich mehr!«
Die Wunderblume wuchs heran, von meinem Vater sorgsam gedüngt und gegossen. Sie wurde trotz aller Pflege zum ganz gewöhnlichen Wurmfarn, der jedes Jahr treulich seine Wedel ausrollte und grünte, aber niemals blaue Blüten trug.
Diesen Farn also rief meine Mutter zu Hilfe, wenn sie ihrer kleinen Schwäche nachgab.
Ich aber hatte kein solches Hilfsmittel zur Hand, um Manfred von der Notwendigkeit einer Umräumaktion zu überzeugen.
»Unsere Zimmer sind optimal eingerichtet!« so hatte er in Weiden nach meinen ersten diesbezüglichen Vorstößen festgestellt. »Jedes Möbelstück steht am richtigen Platz, da gibt es nichts zu verändern!«
»Wie du meinst, Manfred. Schade, es wäre für mich eine große Arbeitserleichterung gewesen, wenn das Eßzimmer neben die Küche und dein Studierzimmer ans andere Ende der Diele käme, dann könnte man das Schlafzimmer zum Kinderzimmer und das...«
»Hör auf, Malchen! Das kommt überhaupt nicht in Frage!«
Wir räumten in Weiden alles um, was sich bewegen ließ. Wir vertauschten die Zimmer und verstellten die Möbel. Als alles schon einmal dagewesen war, zogen wir um.
Auch die Stadtwohnung erhielt immer wieder ein neues Gesicht, doch in dem Augenblick, da Andreas um ein eigenes Zimmer bat, hatte ich die Hoffnung, irgendetwas noch schöner gestalten zu können, längst aufgegeben.
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