Ich und du Muellers Kuh
vor uns Kindern. Aber diese stillen Vorwürfe, diese betrübten Gesichter, dieses drohende Gewitter, das nie losbrach, um die Luft zu reinigen, dies alles war für das Kind fast nicht zu ertragen, so daß es hinauslief in den Garten, Steine aufsammelte, um unbekannte, unsichtbare Gegner damit zu zerschmettern. Ich erzählte meinen Söhnen davon.
»Gell, Mulchen«, sagte Andreas, »gell, du bisch froh, daß du jetzt bei uns bisch!«
Die härteste Leidenszeit für Frau Prälat brach an, als Mathias eine Tuba zu blasen begehrte. Der Bruno habe auch eine und spiele schon im Posaunenchor. Sein Vater hätte gesagt, man müsse so früh anfangen wie möglich und deshalb sei es für ihn jetzt allerhöchste Zeit.
Wir liehen uns ein solches Instrument, um vor der teuren Anschaffung den Fleiß und die Begabung unseres Sohnes zu testen. Diese Tuba war so groß, daß Mathias völlig hinter ihr verschwand, doch war seine Anwesenheit nicht zu überhören. Er saß im Kinderzimmer auf einem Hocker und entlockte dem Instrument grauenvolle Töne. Es klang wie das Röhren eines Hirsches in der Brunft, wie der Schrei einer waidwunden Elefantenkuh. Mathias aber behauptete, es sei ein Lied, und es hieße:
»Ist ein Mann in Brunnen g’f allen,
Hab ihn hören plumpsen...«
Auch Frau Prälat hörte dieses Lied, stürzte die Treppe herauf und klingelte Sturm.
»Was ist passiert?« rief sie, »wer ist verunglückt und schreit so fürchterlich?«
Ich führte sie ins Kinderzimmer. Dort stand die Tuba, und hinter ihr saß Mathias mit hochrotem Kopf und blies: »Ist ein Mann in Brunnen g’f allen...«
»Ist es möglich«, stammelte Frau Prälat, »ist es möglich, daß ein so kleiner Junge einen so ungeheuren Lärm hervorbringt? Unsere Lampe fällt von der Decke, unsere Gläser springen, sogar mein Mann hört es!«
Also setzte sich Mathias mit seiner Tuba auf den Balkon.
»Bei dem Straßenlärm fällt das nicht weiter auf«, meinte Frau Prälat, »ich verstehe durchaus, daß er üben muß, denn unsere Posaunenchöre brauchen Nachwuchs. Hier an der frischen Luft wird sich der Lärm verflüchtigen. Ich halte das für eine gute Lösung.«
Hier aber irrte Frau Prälat. Kaum hatte Mathias die ersten Töne seines Liedes hervorgestoßen, da gab es unten auf der Straße einen gewaltigen Krach. Bremsen quietschten, Hupen gellten, Menschen schrien. Die Fußgänger schauten sich angstvoll um, von welcher Seite das Unheil käme, und selbst die Tauben stoben davon und trauten sich erst nach Tagen wieder auf unseren Balkon.
Wegen der Lärmbelästigung und weil der Posaunenwart Manfred mitteilte, daß es Mathias an der sittlichen Reife mangle, er in der Übungsstunde empfindlich störe und den ganzen Chor durcheinanderbringe — wegen all dieser Schwierigkeiten, vornehmlich aber, weil Mathias keine Lust mehr zum Üben hatte, gaben wir die Tuba zurück und schenkten unserem Sohn eine Strickliesel.
Diese Strickliesel, ein billiges und absolut geräuschloses »Instrument«, bereitete ihm eine Zeitlang große Freude und Befriedigung. Schon morgens in der Frühe konnte man ihn im Bett sitzend vorfinden, die Strickliesel fest in der linken Faust, in der rechten die Nadel, mit der er die Fäden über die Haken zog. Unten aus der Strickliesel hing eine Wurst von verarbeiteter Wolle heraus, an der er heftig riß, damit sie länger werde. Ich nähte diese Würste zusammen und machte Untersetzer und Deckchen daraus, die zwar häßlich anzusehen und selten zu gebrauchen waren, jedoch als »Selbstgemachtes« trefflich dazu geeignet schienen, die Verwandtschaft an Weihnachten und Geburtstagen zu beglücken.
Als Mathias’ Eifer zu erlahmen begann, wickelte ich Schokoladenplätzchen und Gummibären in den Wollknäuel, damit er einen Lohn seines Fleißes habe. Nach kurzer Zeit aber ging er dazu über, die Leckereien schon vorher aus der Wolle zu zerren. Nachdem er viele lange Würste hergestellt hatte, übergab er mir die Strickliesel mit den Worten:
»Also, Mulchen, jetzt isch mir’s ehrlich z’ blöd!«
Schlonz, Fußball und Aggressionsabfuhr
Wie auf dem Dorf, so saß ich auch in der Stadt abends allein zu Hause. Manfred war unterwegs. Auf dem Dorf hatten ihn Besuche, Kreise und Bibelstunden ferngehalten, hier in der Stadt waren es Sitzungen und Mitarbeiterbesprechungen. Sie dauerten sehr viel länger als die Bibelstunden und sie versetzten ihn in eine so schlechte Laune, daß er knurrend und murrend bei mir erschien. Ich lag meistens schlafend auf dem
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