Ich und du Muellers Kuh
Tür. Eilige Schritte stürmten über die Treppe. Es klingelte Sturm. Julius erhob sich, schaute auf die Uhr und sagte behaglich:
»Nun wollen wir einmal sehen, was sich unser guter Hugo für eine Entschuldigung ausgedacht hat«, und er ging strahlend zur Tür.
»Na endlich«, Hugo Pratzels Stimme klang markig wie eh und je. »Das dauert ja eine Ewigkeit, bis hier jemand aufmacht. Wir warten schon eine Viertelstunde!«
»Du irrst, mein Lieber«, das war Julius’ Stimme, »wir sind es, die seit einer Viertelstunde warten!«
»Verzeiht, bitte«, mischte sich Eva ein, »er wollte wirklich pünktlich sein, und wir waren schon fix und fertig, aber dann...«
»...dann kam der VfB«, ergänzte Hugo, und seine Stimme klang nicht mehr so markig. »Ich konnte halt nicht widerstehen. Ach, Julius, der Mensch ist schwach. Aber wir haben euch etwas Feines mitgebracht.«
Sie erschienen im Zimmer. Maria hielt einen Blumenstrauß im Arm, Julius ein Fläschchen. Maria warf einen traurigen Blick darauf und sagte: »Es war wirklich nicht nötig.«
»Und wie nötig! Ihr habt vermutlich wieder nur Säuglingsnahrung. Maria, nimm’s mir nicht übel, nachher will ich all deine gesunden Tränklein schlürfen, aber jetzt brauche ich erst mal einen Klaren. Nach diesem Spiel! Meine Güte, haben die geholzt!«
»Ich dachte es mir«, entgegnete Julius, »daß du uns eine Flasche mitbringen würdest, um sie selbst auszutrinken.«
Es klingelte abermals, und Säuseles kamen. Sigmund zog schnüffelnd die Nase hoch.
»Leute, wie riecht’s denn hier? Schon auf der Treppe ist es mir aufgefallen, aber ich dachte nicht, daß es von euch käme...«
»Was willst du damit sagen?« Hugos Augen blitzten kampflustig.
»Gar nichts will ich sagen! Nur daß ich den Geruch mag. Er erinnert mich an irgendetwas Schönes, Erfreuliches... Pauli! Ja, an Pauli! Mein Freund aus Tübingen. In seiner Studentenbude, da roch es so. Das war eine Zeit damals! Dieser Duft...« Er lächelte verklärt. »Agathe, weißt du noch?«
»Es riecht nach Käse!« sagte Agathe, »seit wann reagierst du so spontan auf Käse?«
»Hier trinkt, ihr Lieben!« Julius hielt ihnen Mandelmilch unter die Nase. Sie tranken, Sigmund noch immer weit fort in goldener Vergangenheit.
Cosima und Tamina zogen die Schiebetüren zum Eßzimmer auf. Ein Topf mit Käsefondue blubberte auf kleiner Flamme vor sich hin. Er war es, der die Duftwolken durch das ganze Haus bis tief hinein in Sigmunds Herz sandte.
Auch Manfreds Gesicht begann zu leuchten.
»Julius, ich hätte nie gedacht, daß man bei euch so etwas Gutes...«
»Mein lieber Manfred, daß euch der Kefir damals nicht geschmeckt hat, war schwer zu übersehen. Also habe ich Maria überreden können, das Milchprodukt zu wechseln. Ich muß dir verraten, ich bin selbst recht dankbar dafür, denn es kommt der Augenblick, wo auch der gesündeste Kefir zum Greuel wird .«
Wir nahmen Platz am runden Tisch, spießten Brotbrocken auf Gabeln, tauchten sie alle in denselben Käsetopf und zogen Fäden kreuz und quer über den Tisch.
Sigmund aber, noch immer entrückt, sog tief den geliebten Duft ein und merkte nicht, daß er zu wiederholten Malen eine leere Gabel zum Mund führte. Er erzählte von seiner Studentenzeit, von Pauli, dem besten aller Freunde, und wie er Agathe liebengelernt, er schwärmte.
»So kenne ich dich gar nicht, Sigmund!« sagte Julius, »sonst sprichst du nur von deinen Kindern. Heute erzählst du zum ersten Mal von dir.«
»Das ist erfreulich«, Hugo räusperte sich, »aber wenn du deine Brotbrocken besser an der Gabel festspießen würdest, dann würden sie nicht alle in den Käse fallen, du bekämst ab und zu was in den Mund, und für uns wär’s auch netter.«
So saßen wir und aßen und lauschten Agathe und Sigmund, die, vom Joch ihrer Kinder befreit, vom Käsegeruch beschwipst, mit leuchtenden Augen ihre Liebesgeschichte erzählten.
Endlich lehnte sich Hugo Pratzel zurück.
»Der Käse liegt mir wie ein Wackerstein im Magen, Julius, jetzt brauchen wir etwas zu trinken, und zwar keine Mandelmilch...«
»Ja«, Julius nickte ergeben, »ich weiß schon.« Er holte unter Seufzen die Flasche herbei. Jeder bekam noch ein winziges Gläschen, dann war sie leer.
»Gut, daß das Teufelszeug aus dem Haus ist«, sagte Maria, »und jetzt wollen wir singen!«
Wir gingen hinüber ins Wohnzimmer. Cosima und Tamina brachten Liederbücher herbei. Die »Gesellige Zeit«, das Gesellige Chorbuch«. Drei- und vierstimmige Sätze,
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