Ich und du Muellers Kuh
hörte.
»Pscht, Amei«, flüsterte die junge Mutter und zog mich zur Seite, »Raskolnikow darf es nicht hören! Gib ihm das Geschenk! Weißt du, er packt so gerne Päckchen aus und dann hat er auch eine Freude...«
»Was, mein süßes Strampelhöschen für Marika soll er...«
»Nein, bloß auswickeln. Mensch, Amei, er ist furchtbar frustriert! Marika kriegt dauernd was und er gar nichts. Das muß ihn doch fertig machen, da kann er sich nie zu einer positiven Einstellung durchringen! Verstehst du das nicht?«
»Doch, natürlich, ja! Soll ich’s ihm einfach so hinschmeißen oder wie?«
»Nicht schmeißen! Überreichen und vielleicht was Nettes dazu sagen!«
»Hier, du lieber Raskolnikow«, knirschte ich mit äußerster Beherrschung, »würdest du bitte so freundlich sein und dieses Geschenk für dein Schwesterchen auspacken...«
Wuff, da hatte er es schon geschnappt, auf den Boden geworfen und sich mit Schnauze und Pfoten darüber hergemacht, daß die Fetzen flogen. Jetzt hielt er das Strampelhöschen in den Zähnen, trug es zu seinem Körbchen und legte es darin nieder.
»Nachher nehme ich’s raus und leg was anderes dafür rein«, flüsterte Evelyn, »das merkt er gar nicht. Schönen Dank auch! Das >Schwesterchen< hast du hoffentlich nicht ironisch gemeint!«
»Nein, was denkst denn du? Es ist mir bloß so rausgerutscht, und weil ich dachte, es tut ihm vielleicht gut.«
»Da magst du recht haben«, stimmte Evelyn zu, »er ist gerade empfindlich wie eine Mimose!«
Wir betrachteten das kleine Mädchen, indes Raskolnikow in der Diele das Seidenpapier zu tausend Fetzen zerriß. Dann sank Evelyn in einen Sessel, und ich sah endlich die Zeit gekommen, meine Leiden vor ihr auszubreiten.
»Menschenskind«, rief sie, nachdem ich erst einen winzigen Bruchteil ausgekramt hatte, »deine Sorgen möcht’ ich haben! Da sitzen Leute im Rollstuhl oder sind blind oder kämpfen mit solchen Schwierigkeiten wie ich, und du jammerst, weil du das Bein ein bißchen nachziehst und keine schicken Schuhe anziehen kannst! Schäm dich!«
Gut, ich schämte mich ein Weilchen und ließ sie von ihren mannigfachen Nöten berichten, dann aber wagte ich doch in eine Pause hinein zaghaft zu protestieren.
»Weißt du, Evelyn, wenn du im Loch sitzt, dann ist es dir egal, ob es zehn Meter tief ist oder fünf. Du sitzt halt drin!«
»A bah! Nimm dir ein Beispiel an mir! Ich sitz auch im Loch, aber ich laß’ mir nichts anmerken. Was meinst du, was ich alles zu tun hab mit Marika und Raskolnikow. An Karl-Otto habe ich auch keine Hilfe. Es ist mir unverständlich, daß ich bei all den Belastungen nicht dünner werde. Kein Kleid paßt mehr! Kannst du das verstehen?«
Sie ließ den Kopf in die Hände sinken, aber mein Herz blieb kalt beim Anblick ihres Kummerspecks. Ich war gekommen, um selber getröstet zu werden.
»Und kannst du verstehen, Evelyn, wie das ist, wenn man nicht sicher auf seinen Füßen steht und dauernd auf die Nase fällt?«
Sie hob den Kopf und schüttelte ihn ungeduldig. »Lächerlich! Du mußt es überspielen!«
Ich wurde eine Meisterin im Überspielen: Träumte, an einen Laternenpfahl gelehnt, vor mich hin, bis dieser Fuß geruhte, weiterzugehen.
Saß auf Mäuerchen, in den Anblick des gegenüberliegenden Mietshauses versunken, bis ich mich fähig fühlte, einen neuen Anlauf zu wagen.
Ließ die Einkaufstasche fallen, um mich niederlassen und einsammeln zu können, bis die Kraft zurückgekehrt war.
Stand vor Schaufenstern und betrachtete dankbar und ausgiebig, was immer sie boten.
»O, das ist aber mal hübsch dekoriert!« Ich preßte die Nase an das Schaufenster eines Metzgerladens.
»Nichts als Salami und saure Gurken!« knurrte Magnus, »die anderen sind schon in der Eisdiele, wir müssen uns beeilen!«
»Geh nur voraus, Magnus, ich komm gleich nach!«
Die Aufforderung, daß ich mich beeilen solle, bewirkte sofort meine völlige Gehunfähigkeit.
»Seit wann interessieren Sie sich für saure Gurken?« Magnus warf mir einen prüfenden Blick zu und ging dann kopfschüttelnd voran.
»Jetzt müssen wir aber rennen, sonst kommen wir unweigerlich zu spät!« Freund Nick hatte das Auto weit entfernt vom Theatereingang geparkt. Er konnte im Geschwindschritt die Straße überqueren, ich nicht. Also blieb ich wie angenagelt neben der Autotür stehen und knickte dann um.
»Au weia, jetzt bin ich in ein Loch getreten! Ich glaub, mein Fuß ist verknackst. Was machen wir bloß, Nick?«
»Soll ich dich tragen?« Es
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