Ich und du Muellers Kuh
ließ nichts mehr von sich hören, und da tat er gut daran. Je näher der Dienstag kam, desto höher wuchs mein Zorn und begann, die schwesterliche Liebe zu überwuchern. Sie rückten an. Judy, hübsch und strahlend wie eh und je, Christoph mit düster verhangener Miene. »Muß ich wegen dir meinen Kegelabend sausen lassen? Muß ich auf meine alten Tage noch das Tanzbein schwingen, bloß damit du Bewegung kriegst mit deinem Fuß und wieder normal wirst! Hat man je so etwas von Bruderliebe erlebt?«
»Ich hör wohl nicht recht! Wer geht hier wegen wem zur Tanzstunde.«
»Na, das dürfte wohl klar sein!« Er ließ sich ächzend in einen Sessel fallen. »Gib mir was zu trinken, Schwager, damit ich meinen Ärger ersäufen kann. Und du«, damit fuhr er zu mir herum, »du sei gefälligst dankbar und mach kein solches Gesicht, wenn man sich schon für dich aufopfert!«
Das hatte Judy verbrochen! Da saß sie, sanft lächelnd, und nippte an ihrem Gläschen.
»Gehen wir?« fragte sie mit süßer Stimme.
»Wir müssen noch die Gebühren bezahlen.«
Manfred und Judy bestritten die Unterhaltung im Auto. Sie waren beide freudig erregt, hatten möglicherweise diesen Plan miteinander ausgeheckt und schienen eisern entschlossen, den Mißmut ihrer Partner nicht wahrzunehmen.
Christoph und ich aber brüteten schweigend in uns hinein. Geprellt! Verletzt in edelsten Gefühlen! Märtyrer mit Narrenkappen über dem Heiligenschein.
Der Tanzlehrer, ein kurzbeiniges, rundes Männlein empfing uns und zehn andere Ehepaare mit launigen Worten und anmutigen Gesten. Nachdem er das Geld eingezogen, versammelte er uns im Kreis um sich und hielt eine Rede.
»Beim Tanzen«, so sprach er, »ergibt sich ganz mühelos, was im Leben oft hart erkämpft werden muß. Ich denke hier, meine Damen und Herren, an die Führungsrolle des Mannes, welche er unbedingt wahrnehmen sollte. Entzieht er sich dieser seiner natürlichen Bestimmung, so muß er mit bösen Stürzen, ja einem Chaos rechnen. Die reizenden Damen hingegen möchte ich herzlich ersuchen, dem Willen und Händedruck ihres Partners Folge zu leisten, auch wenn das sonst nicht ihren Gewohnheiten entsprechen sollte.«
Trotz seiner wohlgesetzten Worte vermochte er nicht, die finsteren Mienen der Herren aufzuhellen und das triumphierende Lächeln der Damen auszulöschen. Keiner der Herren schien aus eigenem Antrieb gekommen, und offen lag es vor aller Augen, wer hier wen zur Tanzstunde geführt hatte.
Nur Manfred warf freundliche Blicke auf den kleinen Tanzlehrer, lachte auch hin und wieder, so daß die Herren, insbesondere Christoph, ihn befremdet musterten, einige sogar angewidert den Kopf schüttelten.
Die Frau des Tanzlehrers war leider nicht zugegen, weshalb er sich zum Vorführen der Figuren eine Partnerin aus unseren Reihen holte, ein Vorgang, der mich mit Angst und Schrecken erfüllte. Sobald er seine Blicke suchend schweifen ließ, verschwand ich hinter Manfreds Rücken. Einmal jedoch konnte ich nicht schnell genug untertauchen, und schon streckte er galant die Hand nach mir aus. Ich überragte ihn um Haupteslänge, und obwohl sein Schwerpunkt nahe am Boden lag, gelang es mir, ihn bei einer Vorwärtsfigur aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er sank nach hinten, suchte zappelnd mit den Beinen Boden zu gewinnen und seinen Körper aus meiner Umklammerung zu befreien. Hätte er nicht einen tollkühnen Sprung gewagt, so daß ich voll Schreck von ihm abließ und nach hinten in Manfreds Arme sank, wir hätten den Zuschauern ein trauriges Bild des Niedergangs deutscher Tanzkunst geboten. Seitdem brauchte ich mich nicht mehr zu verstecken, dem Tanzlehrer grauste, wenn er mich nur sah.
Am ersten Abend lernten wir »Cha-Cha-Cha«. Wir taten es freihändig, im Kreis stehend, was mir herzlich zuwider war, denn, wo bitte, sollte ich mich festhalten? Wer würde mich auffangen, wenn ich stürzte? Mein Blick fiel auf Christoph. Er stand mir gegenüber und hatte auch Schwierigkeiten. Seine Lippen bewegten sich und sprachen »Vor-rück-Cha-Cha-Cha! Rück-vor-Cha-Cha-Cha!«
Auf seiner Stirn stand Schweiß. Mir wurde es direkt warm ums Herz. Christoph, mein kleiner Bruder!
Nach einer Stunde Cha-Cha-Cha entließ uns der Tanzmeister zu einer Pause. Wir sanken erschöpft auf die Stühle neben der Tanzfläche. Christoph wischte sich den Schweiß von der Stirn, Manfred holte Orangensaft. Ich stöhnte, und Judy plauderte.
Nach einer weiteren Stunde, diesmal im Foxtrottschritt, stolperten wir die Treppen
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