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Ich und du Muellers Kuh

Ich und du Muellers Kuh

Titel: Ich und du Muellers Kuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amei-Angelika Mueller
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sprechen, aber am anderen Ende der Leitung hatte man bereits aufgelegt.
    Eine Prüfung drohte. Drei Tage blieben mir zur Vorbereitung. Ich räumte den Küchenschrank wieder ein.

    Freund Nick kam zum Schachspiel.
    »Wo steckt sie denn?« fragte er nach drei Stunden ungestörten Spiels.
    »Sie paukt«, sagte Manfred, »und man läßt sie besser in Ruhe, sonst explodiert sie.«

»Stets findet Überraschung statt«

    Manfred brachte mich zum Bahnhof. Ich bestieg den Zug wie weiland Marie-Antoinette das Schafott, würdig und auf das Schlimmste gefaßt.
    »Sag mir noch ein Wort von bleibendem Wert!«
    »Ich denk an dich, Malchen, und heute abend gehen wir essen.«
    Zum ersten Mal in meinem Leben fuhr ich erster Klasse, aber es war kein großer Genuß, ehrlich gesagt, überhaupt keiner. Nur ein einziger Mensch saß noch im Abteil. Er hatte sich hinter der »Frankfurter Allgemeinen« verkrochen, und seine übereinandergeschlagenen Hosenbeine wirkten derart arrogant, daß ich mich nicht traute, ihn anzusprechen und zu fragen, ob dieser Zug nach München fahre.
    Ich leide nämlich unter einer seltsamen Krankheit, die mich jedesmal mit Heftigkeit befällt, sobald ich Bahn fahre. Ruckt die Lokomotive an, dann rastet eine Schraube in meinem Kopf ein, und ich weiß plötzlich, daß ich im verkehrten Zug sitze. Natürlich habe ich vorher auf dem Bahnsteig gelesen, wohin dieser Zug fährt, ich habe noch zusätzlich einen Schaffner gefragt und die Abfahrtstabelle genau studiert, trotzdem erfüllt mich nun die traurige Gewißheit, daß das Schild auf dem Bahnsteig nicht ausgewechselt wurde, der Schaffner ein Neuling, die Gleisnummer auf der Abfahrtstafel schließlich ein arger Druckfehler sei. Deshalb bin ich auf die Mitreisenden angewiesen, die ich sogleich nacheinander frage, wohin dieser Zug fährt. Antworten sie alle gleich, dann kann ich wieder frei durchatmen. Eine merkliche Besserung meines Zustandes tritt aber erst ein, nachdem der Schaffner meine Fahrkarte betrachtet, geknipst und zurückgegeben hat. Manchmal frage ich noch: »Stimmt’s?« Betrachtet er mich dann scheel und antwortet: »Bei mir ja!«, dann fühle ich, wie die Krankheit langsam von mir weicht. Richtig geheilt aber bin ich erst, wenn ich wieder festen Boden unter den Füßen spüre und auf dem Bahnsteig der Stadt stehe, die ich erreichen wollte.
    Wegen dieser quälenden Krankheit fahre ich selten Zug, ich sitze lieber neben Manfred im Auto und brauche mich um nichts zu kümmern, denn er weiß alles gut, besser, am besten.
    Bin ich allein mit dem Auto unterwegs, dann wende ich einen Trick an, um die Krankheit im Keim zu ersticken und mich selber zu überlisten. Ich komme also an eine Kreuzung ohne Schilder oder mit Schildern, die mir nichts sagen. Zieht es mich nun ganz stark nach rechts und bin ich völlig sicher, daß dies die einzig mögliche Richtung ist, dann beiße ich die Zähne zusammen und fahre nach links, und siehe, die Entscheidung war klug, denn ich erreiche meinen Bestimmungsort.
    Nun also befand ich mich im Zug und bedauerte zutiefst, nicht in der zweiten Klasse zu sitzen. Die Leute dort hätten sicher ein Gespräch begonnen und mich über das Ziel des Zuges nicht im Unklaren gelassen. Der Zeitgenosse in meinem Abteil mochte vielleicht Geld haben, aber sonst schien er eher unerfreulich. Trotzdem gab ich ihm die Chance, mir das Gegenteil zu beweisen und fragte zur »Frankfurter Allgemeinen« hingewendet, ob er vielleicht wüßte, wohin dieser Zug fahre?
    »Ja«, er ließ die Zeitung sinken, um mich mit einem spöttischen Blick zu bedenken, das wisse er wohl, denn er pflege sich im allgemeinen nur in Züge zu setzen, deren Richtung er kenne. Dieser hier zum Beispiel fahre in den Süden, und wenn ich in den Norden zu fahren gedächte, dann würde er mir empfehlen, die Notbremse zu ziehen. Damit verschwand er wieder hinter seiner Zeitung und ließ mich aggressionsbeladen zurück.
    Ich versuchte, Wilhelm Buschs Leben zu überdenken, aber mir fehlte die nötige Gelassenheit dazu. Dieser >Zeitgenosse< hatte sie mir geraubt. Als er nach einiger Zeit die »Frankfurter Allgemeine« zusammenfaltete und sagte: »Sie fahren wohl nicht oft mit der Bahn?« entgegnete ich: »Nein, ich fliege lieber!«
    Diese ausgezeichnete Antwort verschlug ihm die Sprache, denn er faltete die Zeitung wieder auseinander und verbarg sich dahinter.
    Schon lange vor München stand ich draußen auf dem Gang, der Zeitgenosse gesellte sich zu mir, nun angetan mit Hut und

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