Ich und du Muellers Kuh
durchbohrend an, aber der blinkte ebenso scharf zurück. So saßen wir denn ein Weilchen in trautem Schweigen beeinander, bis Manfred den Blick auf seinen Teller senkte und »gut« sagte, »ich will mich nicht ausschließen, obwohl ich, weiß Gott, genug um die Ohren habe. Aber, Mathias«, er hob Stimme und Zeigefinger, »wer seine Pflichten nicht treu erfüllt, ist am nächsten Tag noch einmal dran! Willst du dir das bitte merken?«
»Ja«, Mathias nickte, »des merk i mir, aber dr Andreas soll’s au tun und überhaupt alle!«
So kam der »Schafftag« bei uns in Mode.
»Puh, heut hab ich Schafftag!« stöhnte jeder, der an der Reihe war und wachte sorgsam darüber, daß nicht zuviel Geschirr verschmutzt wurde.
»Andere Kinder habet kein Schafftag!« murrte Mathias, »des gibt’s nirgends!«
»Andere ihr Mutter tritt au net im Fernsehe auf!« sagte Andreas, »mei ganze Klass will zugucke!«
»Meinst du, daß ich denen gefalle?«
»Also, Mulchen, des weiß i net! Aber weisch, des isch die schpäteste Sendung, die die sehe dürfet. Sogar dr Grzimek kommt früher!«
Ich legte einen Plan an, was alles ich noch zu lernen, zu wiederholen und durchzulesen hatte. Es war eine beachtliche Liste.
Dann teilte ich mir das tägliche Tagespensum zu: Zwei Seiten Bildergeschichten lernen, ein bis zwei Gedichte und mindestens zwanzig Daten. Zehn Gemälde einprägen. Fünf Seiten Briefe und Kommentare lesen und alles Gelernte vom Vortag wiederholen. Ich hatte mir, wie immer, zuviel vorgenommen, aber mit der Zeit fand ich heraus, wieviel in meinen Kopf hineinging, wie oft ich wiederholen und wann ich aufhören mußte.
Es war ein neues und beglückendes Gefühl, Wissen zu speichern. Da hatte ich fünfzehn Jahre lang Frauenstunden und Mädchenkreis gehalten, Kirchenchor und Laienspielkreis geleitet und hatte dauernd irgendetwas produziert. Ich war richtig ausgehungert, konnte nicht genug kriegen, futterte und stopfte, bis ich Magendrücken bekam; das war am Tag vor der ersten Sendung.
»Manfred, ich hab solche Angst!«
»Du brauchst keine Angst zu haben, es fängt doch ganz leicht an!«
»Grad vor den leichten Fragen hab ich Angst. Man vermutet irgendetwas ganz Schwieriges dahinter und kommt nicht auf das Nächstliegende. Ich werd schon beim ersten Mal versagen!
Du wirst sehen.«
Dies war kein Zweckpessimismus mehr. Ich hatte wirklich Angst. Außerdem war da noch der Fuß, auf den ich mich in Streßsituationen leider nicht verlassen konnte.
»Wenn ich falle! Wenn ich hinke! O welche Blamage!«
Sie brachten mich zur Bahn, alle drei!
»Du siehsch richtig nett aus, Mulchen!« Mathias stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
»Dei Fuß läuft wie gschmiert!« sagte Andreas.
»Und du kannst viel mehr, als irgendjemand von dir wissen will!« Manfred drückte meinen Arm.
Ich lächelte traurig.
»Heut abend um zehn ist alles überstanden. Und morgen müßt ihr ganz lieb zu mir sein, wenn ich geschlagen heimkehre!«
»Wir werden froh sein, wenn wir noch >Du< zu dir sagen dürfen.«
»Sagt mir lieber noch ein Wort von bleibendem Wert!« Der Zug ruckte an.
»Mir drücket dir dr Daume!« schrien Andreas und Mathias und winkten mit ihren Taschentüchern.
»Es ist der richtige Zug, du brauchst keine Sorge zu haben!« rief Manfred.
An normalen Tagen hätte sich meine Zugkrankheit trotz dieser Versicherung eingestellt, jetzt aber hatte ich wichtigere Dinge im Kopf zu bewegen als die Fahrtrichtung des Zuges.
Was könnte ich sagen bei der Vorstellung? Gescheit sollte es sein und natürlich humorvoll, damit die Zuschauer merkten, wes Geistes Kind ich war und wie trefflich Wilhelm Busch und ich zusammenpaßten. O ja, das würde sich gut machen! Ich lächelte vor mich hin, griff dann aber hastig nach einem Gedichtbändchen, um keine Arbeitszeit zu versäumen.
Ein Taxi brachte mich ins Fernsehgelände. Lange, barackenähnliche Gebäude unter düsterem Himmel; niemand, der mich freudig willkommen geheißen hätte. Aber der Eisenbahnexperte, ein Kandidat, der schon mehrfach aufgetreten war und sich auskannte, nahm mich freundlich unter seine Fittiche und führte mich zu einer Tür, auf der »>Alles oder Nichts< Kandidatinnen« stand. Ich trat ein, zog mich um und wartete. Als endlich der Lautsprecher über der Tür zu summen anhub und eine Männerstimme die Kandidaten in Halle sechs bat, war ich zermürbt an Leib und Seele und fest davon überzeugt, daß alles, aber auch alles schief gehen würde.
Der Eisenbahnexperte lief voraus
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