Ich und Earl und das sterbende Mädchen: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

wusste, dass ich einen Fuß in der Tür hatte.
    »Du hast wirklich gedacht, ich wäre in Josh verliebt?«
    »Ja.«
    »Und das hat dir das Herz gebrochen?«
    » Natürlich .«
    »Na ja, du hättest was sagen sollen.«
    »Ja, ich hab mich da wirklich bescheuert verhalten.«
    Eine meiner wenigen funktionierenden Gesprächstaktiken besteht darin, mein früheres Ich herunterzumachen. Der zwölfjährige Greg benahm sich dir gegenüber wie ein Idiot, sagst du? Er benahm sich allen gegenüber wie ein Idiot. Und er hatte ungefähr dreißig Stofftiere in seinem Zimmer! Was für ein Loser.
    »Greg, es tut mir leid.«
    »Nein! Nein, nein, nein. Es ist meine Schuld.«
    »Und, was machst du gerade?«
    »Nichts«, log ich.
    »Dann kannst du vorbeikommen, wenn du Lust hast.«
    Mission accomplished. Ich musste nur noch Earl anrufen.

Neuntes Kapitel – Eine mehr oder weniger typische Unterhaltung mit Earl
    »Hey, Earl?«
    »Was geht ab, Ike?«
    »Ike« ist ein gutes Zeichen. Das ist Slang für »Dude«, und wenn Earl »Ike« sagt, heißt es, dass er gute Laune hat, was selten der Fall ist.
    »Hey, Earl, ich kann heute nicht Alphaville gucken.«
    »Scheiße, ey, wieso nicht?«
    »Tut mir leid, Mann, ich muss mit diesem Mädchen aus  … äh, mit diesem Mädchen aus der Synagoge abhängen.«
    »Waaaas?«
    »Sie hat…«
    »Leckst du ihr die Muschi?«
    Earl kann manchmal ein bisschen vulgär sein. Tatsächlich ist er, ob ihr’s glaubt oder nicht, viel zurückhaltender geworden, seit er in die Oberstufe geht. Bis zur neunten Klasse hätte er die Frage wesentlich brutaler und scheußlicher gestellt.
    »Klar, Earl, ich werde ihr die Muschi lecken.«
    »Ha!«
    »Genau.«
    » Weißt du überhaupt, wie man ’ne Muschi leckt?«
    »Äh, nicht wirklich.«
    »Papa Gaines hat nie zu dir gesagt, hör mal zu, mein Junge, eines Tages wirst du ’ne Muschi lecken müssen?«
    »Nee. Aber er hat mir erklärt, wie man ein Arschloch leckt.«
    Wenn Earl voll auf dem Ekel-Trip ist, muss man mitmachen, sonst kommt man sich vor wie ein Streber.
    »Gott segne den Mann.«
    »Du sagst es.«
    » Ich könnte dir ein paar Tipps zum Muschilecken geben, aber es ist ein bisschen kompliziert.«
    »Wie schade.«
    »Ich müsste ein paar Skizzen machen und Zeugs.«
    »Na ja, vielleicht kannst mir du ja heute Abend welche zeichnen.«
    »Keine Zeit, mein Sohn. Ich hab hier an die zwanzig Muschis, die geleckt werden müssen.«
    »Tatsache.«
    »Ich hab einen Muschi-Überschuss.«
    »Klar. Zwanzig Vaginas, die alle bei dir Schlange stehen.«
    »Iih, spinnst du? Spinnst du? Wer redet denn von Vaginas ? Greg, was zum Teufel ist los mit dir? Mann, ist ja ekelhaft.«
    Earl verkehrt manchmal gern die Rollen, indem er so tut, als sei man selber eklig und er nicht, obwohl er eindeutig viel ekliger ist. Eine klassische Witznummer, die er über die Jahre perfektioniert hat.
    »Oh, pardon.«
    »Mann, ist das krank. Du bist pervers.«
    »Ja, das war wirklich unpassend.«
    »Ich spreche von Muschis . Ich hab Honigsenf hier, ein bisschen Heinz 57, und jede Menge Muschis.«
    »Nee, das ist nicht eklig. Was ich gesagt habe, das war eklig, aber nicht das, was du da gerade sagst.«
    »Ich hab Dijonsenf hier. Und Mayonnaise .«
    Die Ekeltour kann ewig dauern, und wenn man tatsächlich etwas mitzuteilen hat, muss man manchmal ohne Vorwarnung einfach das Thema wechseln.
    »Also, tut mir leid, ich kann jedenfalls heute Abend nicht Godard angucken.«
    »Also morgen?«
    »Ja, morgen.«
    »Nach der Schule. Treib ein paar Rinderlendchen auf.«
    »Okay, aber ich glaube nicht, dass Mom heute Abend Steaks macht.«
    » Rinderlendchen. Bestell Ma und Pa Gaines Grüße von mir, Ike.«
    Earl und ich sind Freunde. Irgendwie. Nein, eigentlich sind Earl und ich eher so was wie Arbeitskollegen.
    Das Erste, was man über Earl Jackson wissen muss: Wenn man eine Bemerkung über seine Körpergröße macht, verpasst er dir einen Windmill-Kick an den Kopf. Kleine Leute sind oft extrem athletisch. Earl ist mehr oder weniger so groß wie ein Zehnjähriger, aber er kann jedes beliebige Objekt innerhalb eines Radius von zwei Metern zu Boden treten. Hinzu kommt, dass Earls Standardlaune angepisst ist , und seine Ersatz-Standardlaune ist mega-angepisst.
    Und er ist nicht nur zu kurz geraten. Er sieht auch richtig jung aus . Er hat dieses runde, Yoda-mäßige Gesicht mit großen Augen, das die Mädchen total mütterlich werden lässt. Die Erwachsenen nehmen ihn nicht richtig ernst, vor allem die Lehrer nicht. Sie