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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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blöd sind Sie eigentlich?« Sie sah mir ruhig in die Augen. »Zweihundert, und ich bin bis morgen mittag weg.«
    »Das ist viel«, sagte ich heiser.
    »Zweihundertfünfzig.«
    »So geht das nicht!«
    »Dreihundert.«
    »Zweihundert«, sagte ich.
    »Dreihundertfünfzig.«
    Ich nickte.
    Sie streckte die Hand aus, ich holte meine Brieftasche hervor und zählte das Geld ab. Normalerweise hatte ich nicht so viel bei mir; das war alles, was ich auf der ganzen Reise hatte ausgeben wollen.
    »Na los!« sagte sie. Ihre Haut glänzte ölig. Sie griff zu; ihre Hand war so groß, daß die Scheine darin verschwanden.
    »Heute nachmittag ruft meine Schwester an, dann sage ich, daß ich sofort zu ihr muß. Morgen um zwölf bin ich wieder da.«
    »Und keine Minute früher!« sagte ich.
    Sie nickte. »Jetzt gehen Sie schon!«
    Mit unsicheren Schritten ging ich zur Haustür. So viel Geld! Aber ich hatte erreicht, was ich wollte. Und weiß Gott, ich hatte es nicht ungeschickt angestellt, sie hatte keine Chance gegen mich gehabt. Ich stellte bedächtig meine Tasche ab und lehnte sie an die Wand.
    »Herr Zöllner!«
    Ich fuhr herum.
    »Finden Sie den Weg nicht?« fragte Miriam.
    »Doch, ich... wollte nur...«
    »Ich möchte nicht, daß ein falscher Eindruck entsteht«, sagte Miriam. »Wir sind froh über das, was Sie tun.«
    »Das weiß ich doch.«
    »Es ist nicht leicht zur Zeit. Er ist krank. Oft ist er wie ein Kind. Aber Ihr Buch ist sehr wichtig für ihn.«
    Ich nickte verständnisvoll.
    »Wann soll es eigentlich erscheinen?«
    Ich erschrak. Hatte sie einen Verdacht? »Das ist noch nicht sicher.«
    »Warum ist das nicht sicher? Herr Megelbach wollte es auch nicht sagen.«
    »Das hängt von vielen Faktoren ab. Von...« Ich hob die Schultern. »Faktoren. Vielen Faktoren. So bald wie möglich!«
    Sie sah mich nachdenklich an, schnell verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg. Der Abstieg kam mir diesmal sehr kurz vor: Es roch nach Gras und Blumen, ein Flugzeug schwamm langsam durch das Blau; ich fühlte mich heiter und leicht. Ich holte Geld vom Automaten und kaufte einen neuen Rasierapparat in der Dorfdrogerie.
    Ich ging ins Hotelzimmer und betrachtete den alten Bauern an der Wand. Ich pfiff vor mich hin und trommelte mit den Fingern auf meine Knie. Ich war doch ein wenig nervös. Ich legte mich, ohne die Schuhe auszuziehen, auf das Bett und sah eine Weile an die Decke. Ich stellte mich vor den Spiegel und verharrte dort so lange, bis mein Bild mir fremd und absurd vorkam. Ich rasierte mich und nahm eine lange Dusche. Dann griff ich nach dem Telefonhörer und wählte, auswendig, eine Nummer. Es läutete fünfmal, bis jemand abhob.
    »Frau Lessing!« sagte ich. »Ich bin es wieder, Sebastian Zöllner. Nicht auflegen!«
    »Nein!« sagte eine hohe Stimme. »Nein!«
    »Ich bitte Sie nur, mich anzuhören!«
    Sie legte auf. Ein paar Sekunden hörte ich dem Besetztzeichen zu, dann rief ich noch einmal an.
    »Wieder Zöllner. Ich bitte Sie um ein kurzes...«
    »Nein!« Sie legte auf.
    Ich fluchte. Nichts zu machen, es sah wirklich aus, als ob ich selbst hinfahren mußte. Das hatte mir noch gefehlt!
    In einem Restaurant am Hauptplatz bekam ich einen miserablen Thunfischsalat. Um mich saßen Urlauber, Kinder krähten, Väter blätterten in Landkarten, Mütter stachen Gabeln in riesige Kuchenportionen. Die Kellnerin war jung und nicht häßlich, ich rief nach ihr: Zuviel Öl im Salat, sie solle ihn wieder mitnehmen! Das wolle sie gern tun, sagte sie, aber bezahlen müsse ich trotzdem. Ich hätte aber, sagte ich, fast nichts davon gegessen. Das sei meine Sache, sagte sie. Ich verlangte nach dem Geschäftsführer. Sie sagte, der würde erst am Abend kommen, ich könne aber warten. Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte, sagte ich und zwinkerte ihr zu. Ich aß den Salat auf, doch als ich bezahlen wollte, kam nicht sie, sondern ein breitschultriger Kollege. Ich gab kein Trinkgeld.
    Ich kaufte Zigaretten und bat einen jungen Mann um Feuer. Wir kamen ins Gespräch: Er war Student und während der Ferien zu Besuch bei seinen Eltern. Was er studiere? Kunstgeschichte, sagte er und warf mir einen besorgten Blick zu. Sehr verständlich, sagte ich, besonders wenn man von hier käme. Wieso? Ich machte eine Handbewegung in Richtung des Berghanges. Gott? Aber nein, sagte ich, hier seien doch große Maler ansässig. Er verstand nicht. Kaminski! Er sah mich leer an.
    Ich fragte, ob er Kaminski wirklich nicht kannte. Nein, er kannte ihn nicht. Der

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