Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
Vom Netzwerk:
Türen rechts, zwei links, eine am Ende des Flures. Ich begann auf der linken Seite. Ich klopfte, wartete einen Moment und öffnete.
    Das mußte Miriams Zimmer sein. Ein Bett, ein Fernseher, Bücherregale und ein Kaminski der Reflexionen-Serie; drei Spiegel, in deren Mitte sich ein weggelegter Putzlappen, ein Schuh und ein Bleistift, arrangiert als Parodie eines Stillebens, zu einem perfekten System von Flächen ordneten; wenn man es aus dem Augenwinkel betrachtete, schien es schwach zu flimmern. Es mußte ein Vermögen wert sein. Ich sah in die Schränke, aber da waren nur Kleider, Schuhe, Hüte, einige Brillen, Unterwäsche aus Seide. Ich ließ eines der Höschen langsam durch die Finger gleiten; ich hatte noch nie eine Frau gekannt, die Seidenunterwäsche trug. Die Schublade des Nachttischs war gefüllt mit Medikamentenschachteln: Baldrian, Valium, Benedorm, mehrere Arten von Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Die Beipackzettel wären interessant gewesen, aber dafür hatte ich keine Zeit.
    Nebenan war ein Badezimmer. Sehr sauber und nach Scheuermitteln riechend, in der Wanne lag ein noch feuchter Schwamm, vor dem Spiegel standen drei Parfumflaschen. Leider war wirklich kein Chanel dabei, nur Marken, die ich nicht kannte. Kein Rasierzeug, offenbar benutzte der Alte ein anderes Bad. Wie rasierten Blinde sich eigentlich?
    Die Tür am Ende des Ganges führte in einen ungelüfteten Raum. Die Fenster waren nicht geputzt, die Schränke leer, das Bett nicht bezogen: ein unbenutztes Gästezimmer. Eine kleine Spinne ließ ihr über der Fensterkante gespanntes Netz zittern. Auf dem Tisch lag ein Bleistift mit fast aufgebrauchtem Radiergummi und Zahnabdrücken im Holz. Ich nahm ihn, drehte ihn zwischen den Fingern, legte ihn zurück und ging hinaus.
    Nur noch zwei Türen. Ich klopfte an die erste, wartete, klopfte noch einmal, trat ein. Ein Doppelbett, ein Tisch und ein Lehnstuhl. Eine offene Tür führte zu einem kleinen Badezimmer. Die Jalousien waren heruntergezogen, die Deckenlampe brannte. Im Lehnstuhl saß Kaminski.
    Er schien zu schlafen, seine Augen waren geschlossen, er trug einen viel zu großen Seidenschlafrock mit aufgekrempelten Ärmeln. Seine Hände erreichten die Enden der Armlehnen nicht, die Rückenlehne ragte hoch über seinen Kopf, seine Füße hingen über dem Boden. Seine Stirn bewegte sich, er drehte den Kopf, öffnete und schloß ganz schnell die Augen und sagte: »Wer ist das?«
    »Ich«, sagte ich, »Zöllner. Ich hatte meine Tasche vergessen. Anna mußte zu ihrer Schwester und fragte mich, ob ich bleiben könnte, kein Problem, und... ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen. Falls Sie etwas brauchen.«
    »Was soll ich brauchen?« sagte er ruhig. »Die fette Kuh.«
    Ich fragte mich, ob ich richtig gehört hatte.
    »Fette Kuh«, wiederholte er. »Kochen kann sie auch nicht.
    Was haben Sie bezahlt?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Aber wenn Sie Zeit für ein Gespräch...«
    »Waren Sie im Keller?«
    »Im Keller?«
    Er tippte an seine Nase. »Das riecht man.«
    »In welchem Keller?«
    »Sie weiß genau, daß wir sie nicht hinauswerfen können. Man bekommt hier oben niemanden.«
    »Soll ich... die Lampe ausschalten?«
    »Die Lampe.« Er runzelte die Stirn. »Nein, nein. Reine Gewohnheit. Nein.«
    Ob er wieder eine Tablette genommen hatte? Ich zog mein Diktaphon aus der Tasche, schaltete es ein und legte es auf den Boden.
    »Was war das?« fragte er.
    Am besten war es wohl, gleich zur Sache zu kommen. »Erzählen Sie mir von Matisse!«
    Er schwieg. Ich hätte gerne seine Augen gesehen, doch offenbar hatte er sich angewöhnt, sie nie zu öffnen, wenn er keine Brille trug. »Dieses Haus in Nizza. Ich dachte, so möchte ich auch einmal leben. Welches Jahr haben wir?«
    »Bitte?«
    »Sie waren doch im Keller. Welches Jahr?«
    Ich sagte es ihm.
    Er rieb sich das Gesicht. Ich sah auf seine Beine. Zwei Wollpantoffeln baumelten in der Luft, eine haarlose, weiße Kinderwade entblößte sich.
    »Wo sind wir?«
    »In Ihrem Haus«, sagte ich langsam.
    »Nun sagen Sie schon, was Sie der fetten Kuh bezahlt haben!«
    »Ich komme später wieder.« Er holte Luft, ich ging schnell hinaus und schloß die Tür. Das würde nicht leicht werden! Ich würde ihm ein paar Minuten geben, damit er sich sammeln konnte.
    Ich öffnete die letzte Tür und hatte endlich das Büro gefunden. Ein Schreibtisch mit einem Computer, ein Drehstuhl, Aktenschränke, Ablagen, Papierstöße. Ich setzte mich und stützte den Kopf in die Hände. Die Sonne

Weitere Kostenlose Bücher