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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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nicht recht, was mir daran so unheimlich vorkam. Jetzt war nur mehr ein Blatt übrig: dünnes Karopapier, wie aus einem Schulheft gerissen. Ich legte es vor mich hin und strich es glatt.
    Das Datum war genau ein Monat vor dem Brief Adriennes. Manuel, ich schreibe das hier nicht wirklich. Ich stelle... Ein elektrisches Surren unterbrach mich: die Türklingel.
    Beklommen lief ich die Treppe hinunter und öffnete. Ein grauhaariger Mann lehnte am Zaun, auf dem Kopf einen Trachtenhut, neben sich eine bauchige Tasche.
    »Ja?«
    »Doktor Marzeller«, sagte er mit tiefer Stimme. »Der Termin.«
    »Sie haben einen Termin?«
    »Er hat einen. Ich bin der Arzt.«
    Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. »Das geht jetzt nicht«, sagte ich gepreßt.
    »Was geht nicht?«
    »Es geht jetzt leider nicht. Kommen Sie morgen!«
    Er nahm den Hut ab und strich sich über den Kopf.
    »Herr Kaminski arbeitet«, sagte ich. »Er möchte nicht gestört werden.«
    »Meinen Sie, er malt?«
    »Wir arbeiten an seiner Biographie. Er muß sich konzentrieren.«
    »An seiner Biographie.« Er setzte den Hut wieder auf. »Muß sich konzentrieren.« Wieso zur Hölle wiederholte er alles?
    »Mein Name ist Zöllner«, sagte ich. »Ich bin sein Biograph und Freund.« Ich streckte die Hand aus, er nahm sie zögernd. Sein Händedruck war unangenehm fest, ich erwiderte ihn. Er sah mich prüfend an.
    »Ich gehe jetzt zu ihm.« Er machte einen Schritt vorwärts.
    »Nein!« sagte ich und trat ihm in den Weg.
    Er betrachtete mich fragend. Wollte er wissen, ob ich ihn aufhalten würde? Versuch es nur, dachte ich.
    »Es ist doch sicher bloß Routine«, sagte ich. »Ihm fehlt nichts.«
    »Wieso glauben Sie das?«
    »Er ist wirklich sehr beschäftigt. Er kann nicht unterbrechen, es gibt so viele... Erinnerungen. Die Arbeit liegt ihm sehr am Herzen.«
    Er zuckte die Achseln, blinzelte und trat einen Schritt zurück. Ich hatte gewonnen.
    »Es tut mir leid«, sagte ich großmütig.
    »Wie war Ihr Name?« fragte er.
    »Zöllner«, sagte ich. »Auf Wiedersehen.«
    Er nickte. Ich lächelte, er erwiderte meinen Blick ohne Freundlichkeit, ich schloß die Tür. Vom Küchenfenster sah ich zu, wie er zu seinem Auto ging, die Tasche in den Kofferraum stellte, sich hinter das Steuer setzte und losfuhr. Dann hielt er an, kurbelte das Fenster hinunter und sah noch einmal zum Haus herüber; ich trat schnell zurück, wartete ein paar Sekunden, trat wieder ans Fenster und sah den Wagen um die Kurve biegen. Erleichtert ging ich die Treppe hinauf.
    Manuel, ich schreibe das hier nicht wirklich. Ich stelle mir nur vor, ich würde es schreiben, würde es nicht später in ein Kuvert stecken und in die Wirklichkeit schicken, zu Dir. Eben war ich im Kino, de Gaulle in der Wochenschau sah so lustig wie immer aus, draußen ist Tauwetter, zum ersten Mal dieses Jahr, und ich versuche mir einzubilden, das hätte gar nichts zu tun mit uns beiden. Im Grunde glaubt ja keiner von uns, weder ich noch die arme Adrienne, noch Dominik, daß man Dich verlassen könnte. Aber vielleicht irren wir uns.
    Nach all der Zeit weiß ich noch immer nicht, was wir für Dich sind. Vielleicht die Spiegel (damit kennst Du Dich ja aus), die die Aufgabe haben, Dein Bild zurückzuwerfen und Dich zu etwas Großem, etwas Vielfältigem und Weitem zu machen. Ja, Du wirst berühmt sein. Und Du wirst es verdient haben. Nun wirst Du wohl zu Adrienne gehen, nehmen, was sie zu geben hat, und dafür sorgen, daß sie es später für ihre eigene Entscheidung hält, wenn sie geht. Vielleicht wirst Du sie zu Dominik schicken. Dann werden andere Menschen da sein, andere Spiegel. Aber ich nicht.
    Nicht weinen, Manuel. Du hast immer leicht geweint, aber diesmal überlaß es mir. Natürlich, es ist das Ende, und wir sterben. Aber das heißt nicht, daß wir nicht noch lange da sein, andere Menschen finden, Spazierengehen, nachts träumen und alles erledigen können, was eine Marionette so tut. Ich weiß nicht, ob ich das hier wirklich schreibe, auch nicht, ob ich es abschicken werde. Wenn aber doch, wenn ich es fertigbringe und Du es liest, dann versteh es bitte genau so: Laß mich gestorben sein! Ruf nicht an, und such nicht nach mir, ich bin nicht mehr da. Und während ich jetzt aus dem Fenster sehe und mich frage, warum sie alle nicht...
    Ich drehte es um, aber da kam nichts mehr, der Rest mußte verlorengegangen sein. Ich sah noch einmal alle Blätter durch, aber das fehlende war nicht dabei. Ich holte seufzend meinen Notizblock hervor

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