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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kehlmann
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und schrieb den ganzen Brief ab. Ein paarmal brach mein Bleistift, meine Schrift wurde vor Eile unleserlich, aber nach zehn Minuten hatte ich es geschafft. Ich legte alle Papiere zurück in die Mappe und legte die Mappe ganz nach unten in die Schublade. Ich schloß die Schränke, rückte die Aktenstöße zurecht, überprüfte, ob auch keine Lade mehr offenstand. Ich nickte befriedigt: Niemand würde etwas bemerken, ich hatte es sehr geschickt gemacht. Eben ging die Sonne unter, die Berge sahen ein paar Sekunden schroff und riesig aus, dann wichen sie zurück und wurden flach und fern. Es war Zeit, meine beste Karte auszuspielen.
    Ich klopfte, Kaminski antwortete nicht.
    Ich trat ein. Er saß in seinem Stuhl, das Diktaphon lag immer noch auf dem Boden. »Schon wieder?« fragte er. »Wo ist Marzeller?«
    »Der Doktor hat eben angerufen. Er kann nicht kommen. Können wir über Therese Lessing sprechen?«
    Er schwieg.
    »Können wir über Therese Lessing sprechen?«
    »Sie müssen verrückt sein.«
    »Hören Sie, ich möchte...«
    »Was ist mit Marzeller los? Will der Kerl, daß ich krepiere?«
    »Sie ist am Leben, und ich habe mit ihr gesprochen.«
    »Rufen Sie ihn an. Was glaubt er denn!«
    »Ich sagte, sie ist am Leben.«
    »Wer?«
    »Therese. Sie ist Witwe, und sie lebt. Im Norden, an der Küste. Ich habe die Adresse.«
    Er antwortete nicht. Er hob langsam eine Hand, rieb sich die Stirn, senkte sie wieder. Sein Mund öffnete und schloß sich, seine Stirn legte sich in Falten. Ich sah nach dem Diktaphon: Die Sprachaktivierung hatte es eingeschaltet, es zeichnete jedes Wort auf.
    »Dominik hat Ihnen gesagt, sie wäre tot. Aber es stimmt nicht.«
    »Das ist doch nicht wahr«, sagte er leise. Seine Brust hob und senkte sich, ich machte mir Sorgen um sein Herz.
    »Ich weiß es seit zehn Tagen. Es war nicht einmal schwer herauszubekommen.«
    Er antwortete nicht. Ich beobachtete ihn aufmerksam: Er drehte den Kopf zur Wand, ohne die Augen zu öffnen. Seine Lippen zitterten. Er blies die Backen auf und stieß die Luft heraus.
    »Ich werde sie in Kürze sehen«, sagte ich. »Ich kann sie alles fragen, was Sie wollen. Sie müssen mir nur erzählen, was damals passiert ist.«
    »Was bilden Sie sich ein!« flüsterte er.
    »Wollen Sie nicht die Wahrheit wissen?«
    Er schien nachzudenken. Nun hatte ich ihn in der Hand. Damit hatte er nicht gerechnet; auch er hatte Sebastian Zöllner unterschätzt! Vor Nervosität konnte ich nicht stillhalten, ich ging zum Fenster und spähte durch die Lamellen der Jalousie. Von Sekunde zu Sekunde wurden die Lichter im Tal deutlicher. Die Sträucher standen rund, wie aus Kupfer gestochen, in der Dämmerung.
    »Nächste Woche werde ich bei ihr sein«, sagte ich, »dann kann ich sie fragen...«
    »Ich fliege nicht«, sagte er.
    »Aber nein«, sagte ich beruhigend. Er war doch sehr verwirrt. »Sie sind zu Hause. Alles in Ordnung!«
    »Die Medikamente sind neben dem Bett.«
    »Das ist fein.«
    »Sie Trottel«, sagte er ruhig. »Sie sollen sie einpacken.«
    Ich starrte ihn an. »Einpacken?«
    »Wir fahren hin.«
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
    »Warum nicht?«
    »Ich kann ihr jede Frage übermitteln. Aber das geht nicht. Sie sind zu... krank.« Beinahe hätte ich ›alt‹ gesagt. »Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen.« Träumte ich, oder führten wir dieses Gespräch wirklich?
    »Sie haben sich nicht geirrt, haben sie nicht verwechselt? Sie sind nicht hereingelegt worden?«
    »Niemand«, sagte ich, »würde Sebastian Zöllner...«
    Er schnaufte abfällig.
    »Nein«, sagte ich. »Sie lebt und...« Ich zögerte, »...möchte mit Ihnen sprechen. Sie können zum Telefon gehen...«
    »Ich gehe nicht zum Telefon. Wollen Sie sich diese Möglichkeit entgehen lassen?«
    Ich rieb mir die Stirn. Was war geschehen, hatte ich nicht gerade noch alles unter Kontrolle gehabt? Irgendwie war mir die Sache entglitten. Und er hatte recht: Wir würden zwei Tage unterwegs sein, auf soviel Zeit mit ihm hätte ich nie hoffen können. Ich konnte ihn fragen, was ich wollte. Mein Buch würde ein bleibendes Quellenwerk sein, gelesen von den Studenten, von den Kunstgeschichten zitiert.
    »Es ist seltsam«, sagte er, »Sie in meinem Leben zu wissen. Seltsam und nicht angenehm.«
    »Sie sind berühmt. Das wollten Sie doch. Berühmt sein heißt jemanden wie mich haben.« Ich wußte nicht, warum ich das gesagt hatte.
    »Im Schrank ist ein Koffer. Packen Sie ein paar Sachen von mir ein.«
    Ich atmete schwer. Das war doch

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