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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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alles, was dieser außerhalb der Bücher gewesen war - die beiden Mäntel, das Händeklatschen, die Furcht und die tränenden Augen -, würde mit seinem Gedächtnis verschwinden. Und vielleicht würde ausgerechnet ich einmal der letzte sein, der sich noch... Was war los mit mir?
    »Mit Matisse war es ähnlich. Er wollte mich hinauswerfen. Aber ich bin nicht gegangen. Meine Bilder haben ihm nicht gefallen. Aber ich bin nicht gegangen! Wissen Sie, wie das ist, wenn jemand einfach nicht geht? So kann man eine Menge erreichen.«
    »Ich weiß. Als ich meine Reportage über Wernicke geschrieben habe...«
    »Was sollte er also tun? Schließlich schickte er mich zu einem Sammler.«
    »Zu Dominik Silva.«
    »Ach, er war so groß und in sich versunken und beeindruckend, und mir war es ganz egal. Ein junger Künstler ist etwas Seltsames. Halb verrückt vor Ehrgeiz und Gier.«
    Eine letzte Kurve mündete in die Landstraße. Da war schon das Pilzdach des Bahnhofes, das Tal war so schmal, daß die Schienen eng neben der Straße liefen. Ein entgegenkommendes Auto blieb stehen und hupte, ich fuhr achtlos vorbei und bemerkte dann erst, daß ich noch mit Fernlicht fuhr. Ein zweites Auto bremste scharf, ich blendete ab. Ich vermied die Auffahrt zur Autobahn, ich hatte keine Lust, Gebühren zu bezahlen.
    Die Straßen waren um diese Zeit ohnehin leer. Schatten von Wäldern, ein lichtloses Dorf; mir war, als reisten wir durch ausgestorbenes Land. Ich öffnete einen Spalt weit das Fenster, ich fühlte mich leicht und unwirklich. Nachts, im Auto, allein mit dem größten Maler der Welt. Wer hätte das vor einer Woche vermutet!
    »Darf ich rauchen?«
    Er antwortete nicht, er war eingeschlafen. Ich hustete, so laut ich konnte, aber es half nicht, er wachte nicht auf. Ich klopfte auf das Lenkrad. Ich räusperte mich. Ich summte vor mich hin. Er sollte nicht schlafen, er sollte mit mir sprechen! Schließlich gab ich es auf und schaltete das Diktaphon ab. Eine Weile hörte ich seinem Schnarchen zu, dann zündete ich mir eine Zigarette an. Aber auch der Rauch weckte ihn nicht. Wofür brauchte er eigentlich Schlaftabletten?
    Ich blinzelte, auf einmal war mir, als wäre ich eingeschlafen, ich fuhr erschrocken auf, doch es war nichts geschehen, Kaminski schnarchte, die Straße war leer, und ich steuerte zurück auf die rechte Seite. Eine Stunde später kam er zu sich und ließ mich halten, weil er hinausmußte. Beunruhigt fragte ich, ob ich helfen sollte, aber er murmelte, das wäre ja noch schöner, stieg aus und nestelte im Streulicht der Scheinwerfer an seiner Hose. Er tastete nach dem Autodach, setzte sich vorsichtig und schlug die Tür zu. Ich fuhr an, und wenige Sekunden später schnarchte er wieder. Einmal murmelte er im Schlaf, sein Kopf ruckte hin und her, er verströmte einen schwachen Altmännergeruch.
    Der Morgen ließ nach und nach die Berge hervortreten und den Himmel zurückweichen, in den über die Ebene verteilten Häusern schalteten sich Lichter an und wieder aus. Die Sonne ging auf und kletterte höher, ich klappte die Sichtblende herunter. Bald füllte die Straße sich mit Autos, Lieferwagen, immer wieder auch Traktoren, die ich hupend überholte. Kaminski seufzte.
    »Gibt es Kaffee?« fragte er plötzlich.
    »Das läßt sich machen.«
    Er räusperte sich, blies Luft durch die Nase, bewegte die Lippen und horchte in meine Richtung. »Wer sind Sie?«
    Mein Herz setzte einen Sprung aus. »Zöllner!«
    »Wohin fahren wir?«
    »Zu...« Ich schluckte. »Zu Therese, Ihrer... Zu Therese Lessing. Wir hatten... Sie hatten gestern... diese Idee. Ich wollte helfen.«
    Er schien nachzudenken. Seine Stirn zerfurchte sich, sein Kopf zitterte ein wenig.
    »Sollen wir zurück?« fragte ich.
    Er zuckte die Achseln. Er nahm die Brille ab, faltete sie und steckte sie in die Brusttasche des Schlafrocks. Seine Augen waren geschlossen. Er fingerte an seinen Zähnen. »Bekomme ich Frühstück?«
    »Beim nächsten Rasthaus können wir...«
    »Frühstück!« wiederholte er und spuckte aus. Einfach so, auf den Boden vor sich. Erschrocken sah ich ihn an. Er hob seine großen Hände und rieb sich die Augen.
    »Zöllner«, sagte er heiser, »ja?«
    »Richtig.«
    »Malen Sie selbst?«
    »Nicht mehr. Ich habe es versucht, aber als ich die Aufnahmeprüfung der Hochschule nicht geschafft habe, habe ich aufgehört. Vielleicht ein Fehler! Ich sollte wieder anfangen.«
    »Nein.«
    »Ich habe Farbkompositionen im Stil von Yves Klein gemacht. Einigen Leuten haben sie
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